GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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Dürftige Rechtsgrundlagen für
die Laienrichterbeteiligung
Die erst in jüngster Zeit zwingend vorgeschriebene
Mehrheit von rechtskundigen Mitgliedern im Staats
gerichtshof und im Obersten Gerichtshof soll Anlass
sein, die Rechtsgrundlagen für die Laienrichterbe
teiligung in Liechtenstein kurz zusammenzufassen.
Sie sind ziemlich dürftig. Die ältesten finden sich in
der Strafgerichtsbarkeit. Die Schöffen bei den Straf
gerichten erster Instanz sind eindeutig als Laien
richter zu verstehen, und für ihre Bestellung wurde
die einzige liechtensteinische Rechtsnorm erlassen,
die zwingend eine Laienrichterbeteiligung vor
schreibt. 278 279 280 281 282 283 284 Die im Gerichtsorganisationsgesetz von
1922 enthaltene Anweisung, bei der Auswahl der
Richter und Ersatzrichter für das Obergericht «wo
möglich» Rücksicht auf gewisse Berufstände zu
nehmen, hatte keinen verpflichtenden Charakter. 285
In Verfassung und Gesetzen finden sich verschiede
ne Bestimmungen, die eine Mindestzahl nicht je
doch eine Minderheit von rechtskundigen Mitglie
dern in den Kollegialgerichten vorschreiben. In der
Praxis wurde die restliche Überzahl an Richtern mit
Laien besetzt, und aus dieser Besetzungstradition
wurde irrtümlich auf eine vorgeschriebene Laien
mehrheit in sämtlichen Gerichten geschlossen.
Zwingend war jedoch seit der Verfassung von 1921
in den Kollegialgerichten nur eine Mehrheit von
Liechtensteinern nicht aber eine solche von Laien
vorgeschrieben. 286 Wilhelm Beck, der federführend
bei der Schaffung der einschlägigen Normen zur Ge
richtsorganisation beteiligt war, sprach seinerzeit
als bedeutende Neuerung wohl die Beteiligung von
Laien an der Gerichtsbarkeit in allen Straf- und Zi
vilsachen an, nicht jedoch die Mehrheit von Laien in
sämtlichen Gerichten. 287 Neben erwähnten rechts
historischen und rechtspolitischen Gründen waren
es wohl auch praktische Überlegungen, die für eine
starke Laienbeteiligung sprachen. Liechtenstein
wäre damals nicht annähernd in der Lage gewesen,
die Gerichte mit rechtskundigen Landesbürgern zu
besetzen. Auch der bis heute mögliche Verzicht auf
das Erfordernis der liechtensteinischen Staatsbür
gerschaft bei der Anstellung rechtskundiger voll-
und nebenamtlicher Richter entsprang zumindest
teilweise diesem Beweggrund.
Kritik an der Laienmehrheit im Staatsgerichtshof
und im Obersten Gerichtshof
Die existierende Laienmehrheit im Staatsgerichts
hof und im Obersten Gerichtshof war schon lange,
bevor die Mehrheit von rechtskundigen Richtern ge
setzlich vorgeschrieben wurde, bemängelt worden.
Im Zusammenhang mit dem Vorstellungsverfahren
im so genannten Kunsthaus-Fall 1988 stellte der da
malige Präsident des Staatsgerichtshofes u. a. die
Frage, ob die Besetzung des Gerichtshofes mit Laien
«den heutigen Ansprüchen noch gerecht» werde.
Die Rechtsmaterien, die der Staatsgerichtshof zu be
handeln habe, seien so komplex geworden, dass es
oft schwierig sei, «eine Begründung für von Laien
deponierte Abstimmungen zu geben». 288 Und in ei
ner vergleichenden Darstellung des liechtensteini
schen Staatsgerichtshofs mit dem österreichischen
Verfassungsgericht wurde es als unverständlich be
zeichnet, dass für den Staatsgerichtshof die Rechts-
kundigkeit nur für zwei Richter vorgeschrieben war.
278) Richterdienstgesetz (RDG) vom 24. Oktober 2007, LGB1. 2007,
Nr. 347. - Vgl. dazu auch: Vernehmlassungsbericht der Regierung
betreffend die Schaffung eines Richterdienstgesetzes, 22. September
2006; Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag betreffend
die Schaffung eines Richterdienstgesetzes (RDG), Nr. 54/2007,
30. April 2007.
279) Ebenda, Art. 1.
280) Ebenda, Art. 2.
281) Ebenda, Abschnitt B, Art. 13-18.
282) Ebenda, Art. 15.
283) Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffend die Schaf
fung eines Richterdienstgesetzes, 22. September 2006, S. 19; Bericht
und Antrag der Regierung an den Landtag betreffend die Schaffung
eines Richterdienstgesetzes (RDG), Nr. 54/2007, 30. April 2007,
S. 26.
284) Vgl. oben, S. 66 f.
285) Vgl. oben, S. 81 f.
286) Vgl. oben, S. 77, Anmerkung 167 und S. 80-82.
287) Beck, Bericht, S. 7 f. - Vgl. oben, S. 78 f.
288) Seeger, S. 102.