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erinnert, dass die Grundgedanken des Entwurfes
für frühere, liechtensteinische Verhältnisse nichts
Neues bringen. Es sei daran erinnert, dass jede der
beiden Landschaften ein eigenes Gericht, bestehend
aus dem Landammann und zwölf Richtern hatte
und dass die Appellationsinstanz im Lande war. Der
Berufungswerber musste <Gold und Silber hinter
den Stab> des Gerichtes legen. Die Appellation ging
zum Teil an das Zeitgericht und von diesem an das
Hofgericht in Vaduz. In den Freiheitsbriefen ist das
Privilegium de non evocando et de non appellando
enthalten, d. h. Freiheit fremden Gerichtes. Durch
kaiserliche Privilegien ist der Herrschaft damals ein
eigenes, im Lande ansässiges Gericht zugebilligt
worden, gegen dessen Urteilsspruch nicht an aus
wärtige Richter appelliert werden durfte.» 181 Ab
schliessend nannte Beck die Grundintention seiner
Vorschläge: «Die Entwürfe wollen in Anlehnung an
die bestehenden Gesetze, zum Teil an Geschichtli
ches, etwas Einheimisches und Bodenständiges ein
führen.» 182
Die Anknüpfung an die Geschichte und an die
Verhältnisse zur Zeit der alten Landammannverfas
sung war schon ein Leitmotiv der Verfassungsbe
strebungen von 1848/49 gewesen. 183 Sie kennzeich
nete auch dominierende Positionen in den Diskus
sionen im Vorfeld der Verfassung von 1921 und
schliesslich die darin festgelegte Gerichtsorganisati
on. Dies lässt sich auch aus dem ebenfalls von Wil
helm Beck verfassten und im Landtag vom 11. April
1922 behandelten Kommissionsbericht zum Ge
setzentwurf über die allgemeine Landesverwal
tungspflege ersehen. 184 Beck stellte darin die Grund
sätze des Rechtsstaates in den Vordergrund, die
durch die Verfassung verwirklicht wurden und «an
Stelle des Grundsatzes des Polizeistaates» traten.
Der Polizeistaat, «der der Bevormundungs- und
Glücklichmachungslehre im Staatswesen huldigte»,
war nach Becks Auffassung mit der Aufhebung der
alten Landammannverfassung entstanden. 185 Er be
merkte nämlich, dass «vor der Polizeistaatsperiode,
ungefähr bis um 1720 herum»,... «bei uns der Bür
ger seine Rechte gegenüber der Verwaltung auf dem
Rechtsweg geltend machen» konnte. 186 Mit der
Schaffung eines Verwaltungsgerichtshofes 187 wurde
an diese ältere Tradition angeknüpft und eine der
wichtigsten Forderungen des Rechtsstaates er
füllt. 188
In seinem Kommissionsbericht nannte Beck noch
einen weiteren leitenden Gesichtspunkt seiner Ar
beit: Der Gesetzentwurf wollte «in erster Linie den
liechtensteinischen Verwaltungseigentümlichkeiten
und Einrichtungen gerecht werden», und «bei der
Formulierung wurde auf möglichst leichte Lesbar
keit des Textes getrachtet, so dass auch ein Nicht
rechtskundiger das Gelesene soll verstehen können.
Die Vorlage wollte zudem manche in der früheren
liechtensteinischen Rechtssprache bekannte Aus
drücke in neuer Fassung zu Ehren ziehen (z. B.
Kundschaft, Trölerei, Fürsprech, Landsnöte, Lands
rettung) und dadurch enthält die Fassung in man
chen Ausdrücken eine lokale Färbung». 189 Wilhelm
Beck umschrieb mit der Intention der Verständlich
keit des Gesetzestextes und dessen Nähe zur Spra
che des Volkes eine wesentliche Voraussetzung zu
dessen Beteiligung an der Rechtsprechung.
Gerichtsorganisation in der Folge
der Verfassung von 1921
Im Folgenden soll die durch die Verfassung von
1921 190 vorgeschriebene Gerichtsorganisation mit
ihrer Beteiligung von Laien an der Rechtsprechung
umschrieben werden. Insbesondere an der Art und
dem Mass der Laienbeteiligung hat sich daran bis
heute im Wesentlichen nichts mehr geändert. Die
«gesamte Gerichtsbarkeit» wurde «im Aufträge des
Landesfürsten durch verpflichtete Richter ausge
übt». 191 Alle Gerichte wurden ins Land verlegt und
die kollegialen Behörden mehrheitlich mit Liechten
steinern besetzt. 192 In erster Instanz wurde in bür
gerlichen Rechtssachen die Gerichtsbarkeit durch
Einzelrichter, in Strafsachen «beim Landgerichte
von diesem, allenfalls vom Schöffengerichte und
vom Kriminalgerichte ausgeübt». 193 Das Berufsrich-
tertum war auf die in der ersten Instanz beim Land
gericht tätigen Einzelrichter konzentriert. Das Ober
gericht und der Oberste Gerichtshof wurden als Kol
legialgerichte bestimmt, «deren Mitglieder vom
Landesfürsten einvernehmlich mit dem Landtage
über dessen Vorschlag ernannt» wurden. 194