Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2010) (109)

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ERWEITERUNG DER VOLKSRECHTE UND 
DER LAIENBETEILIGUNG AN DER GERICHTS 
BARKEIT DURCH DIE VERFASSUNG VON 1921 167 
Die durch die Verfassung von 1921 geschaffene 
Neuordnung des liechtensteinischen Staatswesens 
betraf wesentlich auch die Gerichtsbarkeit. Sie führ 
te neben einem Ausbau der politischen Volksrechte 
ebenfalls zu einer deutlichen Verstärkung des Lai 
enelements in der Gerichtsbarkeit. Schon das 10- 
Punkte-Programm der Volkspartei vom 18. Dezem 
ber 1918 hatte die Forderung enthalten, «sämtliche 
politischen und gerichtlichen Instanzen mit Aus 
nahme des Obersten Gerichtshofes ... in das Land 
zu verlegen». «Bei der Organisation dieser Behör 
den soll unser Kriminalgericht als Vorbild genom 
men und also insbesondere neben Berufsrichtern 
auch Laienrichter aus dem Lande aufgenommen 
werden», hiess es weiter im Programm. 168 Damit 
wurde an Reformwünsche angeknüpft, die im Land 
tag schon 1880/81, 1906/07 und 1912/13 bei der 
Beratung von Strafprozessnovellen geäussert wor 
den waren: einerseits die Verlegung der Rekursins 
tanz ins Land und andererseits die Laienmehrheit 
in den Kollegialgerichten. 169 Im Berufungsverfahren 
war es nämlich nach wie vor unmöglich, die Grund 
sätze der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittel 
barkeit des Verfahrens anzuwenden. Die Urteile 
wurden in Wien und Innsbruck auf Grund der einge 
sandten Akten gefällt. Und im erstinstanzlichen 
Strafverfahren standen die Laienrichter im Krimi 
nalgericht in der Minderheit gegenüber den rechts 
kundigen Richtern. Eine zumindest numerische 
Gleichstellung hatte keine Aufnahme in die Straf 
prozessnovelle von 1881 gefunden. Im Programm 
der Volkspartei vom 18. Januar 1919 wurde zudem 
gefordert, die Verwaltungs- und Beschwerdeinstanz 
und die Gerichte «mehrheitlich durch Wahl aus Lan 
desbürgern zu bestellen». 170 
Beide Forderungen, die Verlegung sämtlicher Be 
hörden ins Land und die Mehrheit an liechtensteini 
schen Staatsbürgern in den Kollegialgerichten, soll 
ten schliesslich in die Verfassung von 1921 aufge 
nommen 171 und durch entsprechende Gesetze ver 
wirklicht werden. Die Mehrheit an Laienrichtern in 
sämtlichen Kollegialgerichten schrieb die Verfas 
sung nicht vor, und es gab in der Folge auch nur we 
nige gesetzliche Bestimmungen, die eine Laienrich 
terbeteiligung zwingend vorsahen. Die rechtliche 
Grundlage für Laienrichter in der liechtensteini 
schen Rechtssprechung blieb bis heute ziemlich 
dürftig. In der Praxis allerdings sollten bis in die jün 
gere Vergangenheit in sämtliche Kollegialgerichte 
mehrheitlich nicht nur liechtensteinische Staatsbür 
ger, sondern auch Laien bestellt werden. 172 Eine we 
sentliche Erweiterung der Mitspracherechte des 
Volkes bedeutete die in der Verfassung vorgeschrie 
bene Wahl der Mitglieder der Rekursinstanzen 
durch den Landtag, auf deren Zusammensetzung 
das liechtensteinische Volk bis anhin keinerlei Ein 
fluss nehmen konnte. 
In den Unterlagen von Landtag und Regierung 
zur Verfassung von 1921 konnten keine näheren 
Hinweise und Begründungen für die vorgenomme 
ne Stärkung und Ausweitung des Laienelements in 
der liechtensteinischen Gerichtsbarkeit gefunden 
werden. 173 Auch die Landtagsprotokolle und Regie 
rungsakten zu den entsprechenden Gesetzen von 
1922 über die Gerichtsorganisation, die Landesver 
waltungspflege und die Änderung der Straf- und 
Zivilprozessordnung sowie zur Errichtung des 
Staatsgerichtshofes 1925 gaben nicht den gesuch 
ten Aufschluss. 174 Einzig der Bericht von Dr. Wil 
helm Beck zu diesen von ihm verfassten Gesetzes 
entwürfen lieferte einige Informationen zu den Be 
weggründen. 175 
Im Bericht wurde von Wilhelm Beck zunächst auf 
den wesentlichen Verfassungsauftrag verwiesen, 
die Berufungsgerichte, Obergericht und Obersten 
Gerichtshof, ins Land zu verlegen und damit ihren 
«Hauptzweck zu ermöglichen, dass sowohl in Zivil 
ais auch in Strafsachen der in unserer Prozessord 
nung bereits niedergelegte Grundsatz der Münd 
lichkeit und Unmittelbarkeit nicht papierene Wahr 
heit sei, sondern in Wirklichkeit angewendet wer 
de». Weiter führte Beck aus, «neuere Zivil- und 
Strafprozessordnungen der meisten Länder» hätten 
diesen Grundsatz verwirklicht, der auch für das Be 
rufungsverfahren zu gelten habe. Auch der österrei 
chische Gesetzgeber habe ein mündliches Beru-
	        

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