GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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fassers der Entwürfe und des Regierungschefs bera
ten. In die Beratungen war auch das fürstliche Ap
pellationsgericht einbezogen worden. Zudem holte
die Kommission ein Gutachten von Landesgerichts
rat Martin Hämmerle 137 138 139 140 141 142 ein, der längere Zeit ersatz
weise auch als Landrichter in Vaduz gewirkt hatte.
Hämmerle lobte die Gesetzesentwürfe als ausge
zeichnete Arbeit. In einem zentralen Punkt war er
jedoch anderer Ansicht: Er hielt eine Änderung des
Instanzenzugs als angezeigt und schlug vor, dass
entweder das Kreisgericht Feldkirch oder drei vom
Landesfürsten ernannte und zum Richteramt befä
higte Juristen aus Vorarlberg die Rekursinstanz bil
den sollten. Als dritte Instanz sollte das fürstliche
Appellationsgericht in Wien fungieren. Die Siebner-
kommission konnte sich «mit Rücksicht auf unsere
dermaligen Verhältnisse und im Interesse der mög
lichsten Wahrung unserer Selbständigkeit» diesem
Vorschlag nicht anschliessen. 1907 hatte sich eine
grosse Mehrheit im Landtag für eine zweite Instanz
im Lande ausgesprochen. Für den Vorschlag Häm
merles wäre aber auch der damalige Landtag sicher
nicht eingetreten, vermerkt der Kommissionsbe
richt. Im Übrigen übernahm der Bericht die schon
im Vorjahr angeführten Argumente gegen eine Än
derung des Instanzenzugs, «wenn auch damit die
Forderung einer idealen Rechtspflege betreffend
das öffentliche und mündliche Verfahren bei der Be
rufungsinstanz vielleicht nicht ganz erfüllt wird».
«In der Kommission wurde allgemein die Ansicht
vertreten, dass unser Land mit seiner stetig fort
schreitenden Entwicklung und Hebung der Intelli
genz mit der Zeit in die Lage kommen werde, die Be
rufungsinstanz mit dem öffentlichen und mündli
chen Verfahren im Lande selbst und möglichst mit
eigenen Kräften einzuführen, dass aber jetzt, wo nur
ein direkter oder indirekter Anschluss an das Kreis
gericht in Feldkirch in Frage stehe, von einer Ände
rung der bisherigen zweiten Instanz im Interesse
der Wahrung unserer Selbständigkeit abgesehen
werde.» 143
Mit dieser Position des Landtags war bis auf wei
teres ein Reformschritt unterbunden, der Gerichts
instanzen in die Nähe des Volkes gebracht hätte.
Insbesondere kam es auch nicht zu einer Laienrich
terbeteiligung im zivilrechtlichen Rekursverfahren,
wie sie Josef Peer 1907 vorgeschlagen hatte. Das
Gesetzeswerk der Zivilprozessrevision wurde vom
Landtag am 10. Dezember 1912 einstimmig verab
schiedet. 144
Mittlerweile waren auch die Arbeiten am neuen
Strafprozessrecht weit fortgeschritten. «Bezirks
richter Dr. Kraus, ein theoretisch und praktisch er
fahrener Richter», hatte in Liechtenstein an Ort und
Stelle Informationen eingezogen, dabei den Ge
schäftsgang beim Landgericht kennengelernt und
137) LLA Landtagsprotokoll vom 15. November 1909. Beilage zu
Traktandum 2 der Tagesordnung für die Landtagssitzungen vom
16. und 18. Dezember 1909. Antrag der Finanzkommission betref
fend Einführung der freien Beweiswürdigung im Strafprozessverfah
ren. Gesetz vom 28. Dezember 1909, womit Zusatzbestimmungen
zur Strafprozessnovelle vom 24. August 1881 erlassen werden
(LGB1. 1910, Nr. 1).
138) LLA Landtagsprotokoll vom 10. Dezember 1910. Beilage zu
Traktandum 2 der Tagesordnung: Bericht der Finanzkommission
über den derzeitigen Stand der Strafprozess-Reformfrage. Bericht
über die Landtagssitzungen vom 10. und 12. Dezember 1910.
Beilage zu Nr. 50 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1910.
139) LLA Landtagsprotokolle. Beilage zu Traktandum 1 der Land
tagssitzungen vom 11. und 12. Dezember 1911: Gesetzentwürfe zur
Reform des Zivilprozesses. Referat des Landtagspräsidenten Albert
Schädler.
LLA Landtagsakt 1911 L 21: Reform des Zivilprozesses. Schreiben
Regierung an Landtag, 19. November 1911 samt Gesetzentwürfen
und Motivenberichten sowie Beratungsprotokoll beim Appellations
gericht in dieser Sache.
140) Ebenda. Protokoll über die am 6. November 1911 stattgehabte
Beratung über die Gesetzentwürfe zur Reform des Zivilprozesses im
Fürstentume Liechtenstein.
141) LLA Landtagsprotokolle, 11. und 12. Dezember 1911. Bericht
über die Landtagssitzungen vom 11. und 12. Dezember 1911.
Beilage zu Nr. 50 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1911.
142) Dr. Martin Hämmerle, geboren 1872, 1909 als Bezirksrichter
extra statum beim Landesgericht Innsbruck ausgewiesen (Auskunft
Vorarlberger Landesarchiv, 15. Januar 2009).
143) LLA Landtagsprotokolle. Beilage zu Traktandum 5 der Land
tagssitzungen vom 14. und 16. November 1912: Gesetzentwürfe zur
Reform des Zivilprozesses. Bericht der Siebnerkommission über die
Gesetzentwürfe zur Reform des Justizwesens im Fürstentume
Liechtenstein. LLA Landtagsprotokolle, 14. und 16. November 1912.
Bericht über die Landtagssitzungen vom 14. und 16. November
1912. Beilage zu Nr. 48 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1912.
144) Gesetz über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechts
streitigkeiten (Zivilprozessordnung) vom 10. Dezember 1912 (LGB1.
1912, Nr. 9).