GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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13. Dezember 1906 vom Landtag verabschiedeten
Zusatzbestimmungen zur allgemeinen Gerichtsord
nung wurde überflüssiger Formalismus im Zivilpro
zess beseitigt. 119 120 121 122 123 124 Gleichzeitig mit dieser unbestritte
nen Vorlage war dem Landtag von der Regierung
auch eine weitere Revision der Strafprozessnovelle
von 1881 unterbreitet worden. Die Regierung wollte
«die modernen Prinzipien im Strafverfahren eini-
germassen auch bei uns zur Geltung bringen». Da
«die Verhältnisse des Landes die Schaffung einer
besonderen Behörde, welcher, wie den in fast allen
anderen Ländern bestehenden Staatsanwaltschaf
ten, die Wahrung des staatlichen Interesses in der
Strafrechtspflege übertragen werden könnte, der
zeit untunlich erscheinen», sollte diese Aufgabe der
Regierung übertragen werden. 125 Im Weiteren soll
ten die auf strengem Formalismus früherer Jahr
hunderte beruhenden formellen Beweisregeln auf
gehoben und wie in den Nachbarstaaten das Prinzip
der freien Be weis Würdigung eingeführt werden.
Die Beseitigung der alten Beweistheorie wurde
vom Landtag einhellig begrüsst, nicht jedoch das
vorgesehene Berufungsrecht der Regierung. Die
Landtagskommission sah darin eine Schwächung
der Autorität des Landgerichts und eine Beeinträch
tigung der Trennung von Justiz und Verwaltung. Die
Kommission meinte, das würde auch im Volk so ge
sehen, und verlangte in einem Resolutionsentwurf
von der Regierung, «in Bälde sowohl im Zivil- als
auch im Strafverfahren ganze Arbeit zu machen und
die bewährten modernen Grundsätze mit Anpas
sung derselben an unsere Verhältnisse zur Ausfüh
rung zu bringen. Im Strafverfahren liesse sich das
Prinzip der Staatsanwaltschaft ja auch bei uns ohne
nennenswerte Kosten einführen, wenn ein österrei
chischer Staatsanwalt für Kriminalverhandlungen
beigezogen würde und für Verhandlungen wegen
Vergehen und Übertretungen - analog der in Öster
reich herrschenden Übung - ein im Lande wohnen
der unbescholtener Bürger (der natürlich nicht Ju
rist zu sein brauchte) mit der Stelle eines staatsan-
waltschaftlichen Funktionärs betraut würde. Die
Entlohnung könnte ähnlich wie bei den Schöffen in
Form von Diäten für jede Intervenierung stattfin
den.» 126
Im Landtag wurde die Position der vorberaten
den Kommission mehrheitlich gestützt. In der De
batte führte der Kommissionsvorsitzende Landtags
präsident Albert Schädler 127 u. a. aus: «Unsere Alt
vorderen hatten durch Jahrhunderte eine in der
Hauptsache auf dem germanischen Rechte und auf
demokratischer Grundlage beruhende Rechtspfle
ge, welche im Beginne des letzten Jahrhunderts
dem Polizeistaate weichen musste. Mit der Schaf
fung der Verfassung sei diese unglückselige Zeit
überwunden und auch in der Rechtspflege durch
Trennung von Justiz und Administration gesundes
Leben geschaffen worden. Diese Trennung müsse
auch bei uns wie überall peinlich aufrecht erhalten
werden. Bei den jüngsten Kolonialdebatten im deut
schen Reichstage sei ja sogar für Südwestafrika all
gemein eine strikte Trennung von Justiz und Ver
waltung verlangt worden.» 128 Im Landtag gab es
119) Vgl. dazu Schädler, Landtag.
120) Staatsvertrag bezüglich der Justizverwaltung im Fürstentum
Liechtenstein, Wien, 19. Januar 1884. LGB1. 1884, Nr. 8.
121) Diese Zusammensetzung des Gerichts deckt sich mit derjeni
gen, die gemäss österreichischer Strafprozessordnung von 1853
festgelegt war (vgl. oben, S. 31 f. und S. 56).
122) LLA Landtagsprotokoll vom 13. März 1884. Kommissionsbe
richt vom 6. März 1884. Gesetz vom 24. Juni 1884 mit Zusatzbe
stimmungen zur Strafprozessnovelle vom 24. August 1881 (LGB1.
1884, Nr. 6).
123) Vgl. dazu: Schädler, Landtag; Beck, Das Recht des Fürstentums
Liechtenstein; Ospelt, S. 240 f.; Hilti, S. 29-33: Die umstrittene
Justizreform von 1907/08.
124) LLA Landtagsprotokoll, 11. und 13. Dezember 1906; LTA
1906/L 08: Regierungsvorlage betr. Gesetz, womit Zusatzbestimmun
gen zur Strafprozessnovelle vom 24. August 1881 erlassen werden,
o. D.; Tagesordnung und Kommissionsberichte zu den Landtagssit
zungen vom 11. und 13. Dezember 1906. Gesetz vom 26. Dezember
1906, womit Zusatzbestimmungen zur allgemeinen Gerichtsordnung
erlassen werden (LGB1. 1907, Nr. 1).
125) LTA 1906/L 08: Kommissionsbericht betr. Justizgesetz-Ent
würfe.
126) Ebenda.
127) Dr. med. Albert Schädler (1848-1922), Abgeordneter
1882-1886 und 1890-1919, Präsident 1882-1886 und 1890-1919.
128) Bericht über die Landtagssitzungen vom 11. und 13. Dezember
1906. Beilage zu Nr. 52 des Liechtensteiner Volksblatt, Jg. 1906.