62
sieht, unabweislichen Reform der Strafprozessord
nung beschäftigt, wird sich niemals anders als da
hin aussprechen können, dass eine Verbesserung
der in der bestehenden Strafprozessordnung von
1803 liegenden mit den Anforderungen der Neuzeit
in grellstem Kontrast stehenden Missstände,... nie
mals lediglich durch eine Novelle herbeigeführt
werden könne». Eine Detailberatung des unter ver
schiedenen Kriterien als untauglich beschriebenen
Gesetzesentwurfs erübrige sich. Dennoch setzte
sich Lindner im Weiteren mit verschiedenen Krite
rien und Bestimmungen des Strafprozesses einge
hend auseinander. Zur vorgeschlagenen Zusam
mensetzung des Strafgerichtshofs meinte er: «Aller
dings sollen sich in der Ratsstube des Gerichtes, wo
über die Schuld des eines Verbrechens Beschuldig
ten verhandelt wird, ausser drei geprüften rechts
kundigen Richtern und dem Protokollführer zwei
beeidete Beisitzer einfinden und sollen diese letzte
ren wie die geprüften Richter abzustimmen befugt
sein.» ... « Der Beizug von zwei weiteren Beisitzern
... ist völlig ohne Wert, wenn man bedenkt, dass die
Auslosung derselben aus sechs vom Landtag auf
drei Jahre gewählten Persönlichkeiten durch das
Landgericht, natürlich in nicht-öffentlicher Weise
und ohne dass das Volk von dem Hergang dabei sich
zu überzeugen, Gelegenheit hat, stattfindet;» ...
«Man kann zugeben, dass mit Rücksicht auf die lo
kalen Verhältnisse des kleinen Staates Liechtenstein
die Aktivierung des Geschworenen-Instituts nicht
möglich, und nur eine Verstärkung des rechtskundi
gen Richterkollegiums durch aus und vom Volk ge
wählte Richter zulässig sei; allein wenn diese Anteil
nahme des Volkes an der Rechtsprechung nicht nur
Schein, sondern Wahrheit sein soll, dann muss die
Zahl der Richter aus dem Volk mit der der Rechts
kundigen mindestens gleich gross und gesetzlich
festgestellt sein, dass jeder Richter über die Schuld
nach seiner innersten Überzeugung und ohne an
bestimmte Beweisregeln gebunden zu sein, sich
auszusprechen habe; dass zur Verurteilung eine
2/3-Majorität notwendig sei, und dass die vom Volke
gewählten Richter ... über jede Einberufung des
Vorsitzenden des Gerichtes ihr Amt auszuüben ha
ben.»
Gutachten von Josef Neuner, Innsbruck
Das von einem gewissen Dr. Neuner, Innsbruck, ver
fasste Gutachten datierte vom 24. Oktober 1880. 101
Es prüfte die Regierungsvorlage eingehend hin
sichtlich der Prinzipien der Öffentlichkeit, Münd
lichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens, der
freien Beweiswürdigung, sowie des Anklageprin
zips. Zur Frage der Laienrichter äusserte es sich wie
folgt: «Das Institut der Beisitzer (Richter aus dem
Volke) ist höchst wertvoll und daher um jeden Preis
beizubehalten. Die Wahl dieser <Beisitzer>, richtiger
<Schöffen>, durch den Landtag ... bietet wohl genü
gende Garantie dafür, dass nur verständige, recht
schaffene, unabhängige und unparteiische Männer
zu diesem Amte berufen werden. Es ist daher kein
Grund vorhanden, auf direkte Wahl zu dringen.»
Für den Fall einer Volkswahl schlug der Gutachter
den gleichen Modus wie für die Wahl der Landtags
abgeordneten vor und fuhr fort: «Was die kollegiale
Besetzung des zur Aburteilung eines Beschuldigten
berufenen Gerichtshofes betrifft, so müssen wir uns
entschieden für drei und nicht bloss zwei beeidigte,
mit den rechtskundigen Richtern vollkommen
gleich berechtigte Beisitzer, Schöffen, aussprechen,
und zwar vor allem zur Beruhigung, weil wir gegen
die in Folge der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit
des Verfahrens und der freien Be weis Würdigung
nicht bloss unnötige sondern geradezu nicht mehr
logische Berufung gegen den Ausspruch über die
Schuld und Tatfragen sind. Um nun aber die volle
Beruhigung über die Beseitigung dieser Berufung zu
erlangen, ist die gesetzliche Bestimmung notwen
dig, dass zum Schuldspruch eine 2/3-Majorität der
Stimmen erfordert werde und nicht die blosse
Mehrheit schon genüge. Wir verlangen aber eine
Vermehrung des Laienelementes und dessen nume
rische Gleichstellung mit den rechtskundigen Rich
tern auch aus dem Grunde, weil erfahrungsgemäss
die Gefahr nahe liegt, dass sich das Laienelement in
Folge des moralischen Druckes, welchen die Fach
richter durch das Ansehen ihrer sozialen Stellung
und ihre Sachkenntnis unwillkürlich ausüben, den
selben gegenüber zu gefügig zeigt, und dass am
Ende die Laienrichter zu blossen Puppen, <Jasa-
gern> herunter sinken und der Zweck der ganzen