Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2010) (109)

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sieht, unabweislichen Reform der Strafprozessord 
nung beschäftigt, wird sich niemals anders als da 
hin aussprechen können, dass eine Verbesserung 
der in der bestehenden Strafprozessordnung von 
1803 liegenden mit den Anforderungen der Neuzeit 
in grellstem Kontrast stehenden Missstände,... nie 
mals lediglich durch eine Novelle herbeigeführt 
werden könne». Eine Detailberatung des unter ver 
schiedenen Kriterien als untauglich beschriebenen 
Gesetzesentwurfs erübrige sich. Dennoch setzte 
sich Lindner im Weiteren mit verschiedenen Krite 
rien und Bestimmungen des Strafprozesses einge 
hend auseinander. Zur vorgeschlagenen Zusam 
mensetzung des Strafgerichtshofs meinte er: «Aller 
dings sollen sich in der Ratsstube des Gerichtes, wo 
über die Schuld des eines Verbrechens Beschuldig 
ten verhandelt wird, ausser drei geprüften rechts 
kundigen Richtern und dem Protokollführer zwei 
beeidete Beisitzer einfinden und sollen diese letzte 
ren wie die geprüften Richter abzustimmen befugt 
sein.» ... « Der Beizug von zwei weiteren Beisitzern 
... ist völlig ohne Wert, wenn man bedenkt, dass die 
Auslosung derselben aus sechs vom Landtag auf 
drei Jahre gewählten Persönlichkeiten durch das 
Landgericht, natürlich in nicht-öffentlicher Weise 
und ohne dass das Volk von dem Hergang dabei sich 
zu überzeugen, Gelegenheit hat, stattfindet;» ... 
«Man kann zugeben, dass mit Rücksicht auf die lo 
kalen Verhältnisse des kleinen Staates Liechtenstein 
die Aktivierung des Geschworenen-Instituts nicht 
möglich, und nur eine Verstärkung des rechtskundi 
gen Richterkollegiums durch aus und vom Volk ge 
wählte Richter zulässig sei; allein wenn diese Anteil 
nahme des Volkes an der Rechtsprechung nicht nur 
Schein, sondern Wahrheit sein soll, dann muss die 
Zahl der Richter aus dem Volk mit der der Rechts 
kundigen mindestens gleich gross und gesetzlich 
festgestellt sein, dass jeder Richter über die Schuld 
nach seiner innersten Überzeugung und ohne an 
bestimmte Beweisregeln gebunden zu sein, sich 
auszusprechen habe; dass zur Verurteilung eine 
2/3-Majorität notwendig sei, und dass die vom Volke 
gewählten Richter ... über jede Einberufung des 
Vorsitzenden des Gerichtes ihr Amt auszuüben ha 
ben.» 
Gutachten von Josef Neuner, Innsbruck 
Das von einem gewissen Dr. Neuner, Innsbruck, ver 
fasste Gutachten datierte vom 24. Oktober 1880. 101 
Es prüfte die Regierungsvorlage eingehend hin 
sichtlich der Prinzipien der Öffentlichkeit, Münd 
lichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens, der 
freien Beweiswürdigung, sowie des Anklageprin 
zips. Zur Frage der Laienrichter äusserte es sich wie 
folgt: «Das Institut der Beisitzer (Richter aus dem 
Volke) ist höchst wertvoll und daher um jeden Preis 
beizubehalten. Die Wahl dieser <Beisitzer>, richtiger 
<Schöffen>, durch den Landtag ... bietet wohl genü 
gende Garantie dafür, dass nur verständige, recht 
schaffene, unabhängige und unparteiische Männer 
zu diesem Amte berufen werden. Es ist daher kein 
Grund vorhanden, auf direkte Wahl zu dringen.» 
Für den Fall einer Volkswahl schlug der Gutachter 
den gleichen Modus wie für die Wahl der Landtags 
abgeordneten vor und fuhr fort: «Was die kollegiale 
Besetzung des zur Aburteilung eines Beschuldigten 
berufenen Gerichtshofes betrifft, so müssen wir uns 
entschieden für drei und nicht bloss zwei beeidigte, 
mit den rechtskundigen Richtern vollkommen 
gleich berechtigte Beisitzer, Schöffen, aussprechen, 
und zwar vor allem zur Beruhigung, weil wir gegen 
die in Folge der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit 
des Verfahrens und der freien Be weis Würdigung 
nicht bloss unnötige sondern geradezu nicht mehr 
logische Berufung gegen den Ausspruch über die 
Schuld und Tatfragen sind. Um nun aber die volle 
Beruhigung über die Beseitigung dieser Berufung zu 
erlangen, ist die gesetzliche Bestimmung notwen 
dig, dass zum Schuldspruch eine 2/3-Majorität der 
Stimmen erfordert werde und nicht die blosse 
Mehrheit schon genüge. Wir verlangen aber eine 
Vermehrung des Laienelementes und dessen nume 
rische Gleichstellung mit den rechtskundigen Rich 
tern auch aus dem Grunde, weil erfahrungsgemäss 
die Gefahr nahe liegt, dass sich das Laienelement in 
Folge des moralischen Druckes, welchen die Fach 
richter durch das Ansehen ihrer sozialen Stellung 
und ihre Sachkenntnis unwillkürlich ausüben, den 
selben gegenüber zu gefügig zeigt, und dass am 
Ende die Laienrichter zu blossen Puppen, <Jasa- 
gern> herunter sinken und der Zweck der ganzen
	        

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