Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2010) (109)

GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN 
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT 
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Strafgewalt die zur Strafgerechtigkeit des Strafur 
teils erforderliche Überzeugung, dass die verbre 
cherische Tat im vollen Umfange ihrer Strafwürdig 
keit dem Verbrecher klar und erkennbar war, weil 
die Entscheidung der Schuldfrage Personen über 
lassen ist, von denen alle oder wenigstens einige der 
Stufe der geistigen Bildung und der bürgerlichen 
Gesellschaft nahe stehen, worauf sich der Angeklag 
te befindet, und die darum von sich aus den letzte 
ren in seiner ganzen Individualität genauer zu beur 
teilen vermögen, als wie dies ein in der Regel in 
grösserer geistigen und gesellschaftlichen Entfer 
nung vom Angeklagten stehender Richter stand je 
im Stande ist. - Aber nicht bloss vom juristischen, 
sondern auch vom politischen Standpunkt aus zeigt 
sich uns das Schwurgericht in vorteilhaftem Lichte, 
weil dasselbe sich uns als natürliche Folge der 
wahrhaften Repräsentativ-Verfassung vorstellt, die 
in ihrem Grundsätze, dass das Volk mitwirken soll 
bei den wichtigsten Angelegenheiten des Staates, 
folgerichtig dessen Mitwirkung auch bei dem so 
überaus einflussreichen Zweige der Staatsverwal 
tung, der Strafrechtspflege, gebietet.» Nach an 
schliessenden Überlegungen zur Wahl der Ge 
schworenen, zum Instanzenzug und zur freien Be 
weiswürdigung schliesst der Text mit der richtigen 
Annahme, dass es auch möglich sei, dass an Stelle 
der bisherigen die österreichische Strafprozessord 
nung von 1853 treten werde. Die dort im Schluss 
verfahren gewährte Öffentlichkeit und Mündlichkeit 
«heben allerdings noch nicht alle Schattenseiten der 
geheimen Schriftlichkeit, wären aber in Ermange 
lung von etwas Besserem auf dem Gebiete unserer 
Strafrechtspflege selbst in ihrer dritten homöopathi 
schen Verdünnung des Prinzips der Mündlichkeit 
und Öffentlichkeit als kleiner Fortschritt freudiger 
Begrüssung wert», schliesst der Text. 
Empfehlung zur Neugestaltung der Strafprozess 
ordnung von Josef Lindner, Feldkirch 
Schon vor dem Beschluss der Gesetzgebungskom 
mission des Landtags vom 26. Juni 1880, die Regie 
rungsvorlage durch Fachleute begutachten zu las 
sen, lag dem Landesausschuss eine entsprechende 
Stellungnahme vor, die er selbst in Auftrag gegeben 
hatte. Sie datierte vom 4. Juni 1880 und stammte 
von einem gewissen Dr. Lindner aus Feldkirch. 99 100 
Lindner empfahl dem Landesausschuss, die ganze 
Vorlage abzulehnen und ein vollständig neues, zeit- 
gemässes Gesetz zu verlangen. Durch die Strafpro 
zessnovelle sollte die längst veraltete, in Liechten 
stein aber immer noch geltende österreichische 
Strafprozessordnung vom 3. September 1803 abge 
ändert und Satzungen, die die Sicherheit der Recht 
sprechung und die Freiheit des Bürgers am meisten 
gefährdeten, sowie Härten, die dem mittelalterli 
chen Inquisitionsprozess entstammten, sollten be 
seitigt werden. Gleichzeitig werde dem Landtag 
aber zugemutet, dass er im Übrigen mit der Fort 
existenz dieses veralteten Gesetzes einverstanden 
sei. Lindner beschrieb die Entwicklung des österrei 
chischen Strafprozessrechts und betonte dabei die 
Bedeutung einer strengen Durchführung des Ankla 
geprinzips und der Teilnahme des Volkes an der Be 
urteilung der Schuld angeklagter Bürger. In Öster 
reich seien 1850, 1853 und 1874 drei vollständig 
neue Prozessordnungen über jene von 1803 hin 
weggegangen. Die Strafprozessordnung von 1853 
sei im Gegensatz zur früheren von 1850 in wesentli 
chen Punkten mit den Rechtsanschauungen der 
Neuzeit nicht im Einklang. Diesen sollte die Reform 
in Liechtenstein Rechnung tragen. Mit der in der Re 
gierungsvorlage vorgesehenen Änderung einiger 
Paragraphen könne ein solcher Zweck jedoch nie 
erreicht werden. Und Lindner fährt fort: «Die Re 
präsentanz des Volkes in Liechtenstein, wenn sie 
sich mit der Frage der, wie die Regierung selbst ein 
99) Gemeint sind hier die Gerichtszeugen, die gemäss der österrei 
chischen Strafprozessordnung von 1853 dem vom Untersuchungs 
richter resp. Gericht geführten Untersuchungsverfahren beiwohnten. 
Vgl. oben, S. 54 f. 
100) LLA RE 1881, Nr. 240: Gutachten Dr. Lindner, Feldkirch, als 
Beilage zum Sitzungsprotokoll des Landesausschusses vom 8. Febru 
ar 1881. 
Gemäss Auskunft des Feldkircher Stadtarchivs vom 15. Januar 2009 
handelt es sich beim Verfasser des Gutachtens um den Advokaten Dr. 
Josef Lindner. Lindner, geboren 1830, war seit 1856 Advokaturkon 
zipient in Feldkirch, übersiedelte 1864 nach Dornbirn, verlegte seine 
Kanzlei 1871 wieder nach Feldkirch, wo er 1883 das Heimatrecht 
erlangte. Er starb 1910 in Bregenz und wurde in Feldkirch beerdigt.
	        

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