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teilnehmenden öffentlichen Meinung stattfinden
werde. Und doch hat die Strafprozessordnung so
viele Punkte von höchster Bedeutung zu ordnen,
dass für sie durchaus die Teilnahme des Volkes in
Anspruch zu nehmen ist. Da ja die Frage, in welchen
Formen Straffälle verhandelt und entschieden wer
den, gleichbedeutend ist mit der Frage nach dem
Masse von Rechtssicherheit, welche in einem Lande
der Bürger geniesst; selbst das beste materielle
Recht kann diese Rechtssicherheit nicht gewährleis
ten, wenn die Formen des Verfahrens der Willkür
Spielraum lassen und die Rechtspflege nicht in der
offenen Darlegung ihres Tuns und Lassens vor den
Augen der Welt sich zugleich Sporn und Zügel ist,
Pflicht und Recht zu üben.» ... «Das in unserem Lan
de noch geltende schriftliche, geheime Strafverfah
ren ist geradezu ein Anachronismus. Hilflos steht
der Angeschuldigte, der, wenn Missetäter, doch im
mer ein Mensch ist, wenn schuldlos, umso mehr auf
Gewährung der Mittel Anspruch machen kann, sei
ne Unschuld darzulegen vor seinem Untersu
chungsrichter, der zugleich sein Ankläger und Ent
scheidungsrichter ist, und vermag oft einmal nicht
das Protokoll in allen den ihm vorgelesenen Punkten
zu begreifen, und doch ist gerade dieses Protokoll
der Griff seines Richtschwertes, die Handhabe, mit
der man das darin Niedergeschriebene zur objekti
ven Wahrheit stempelt. Selbst auch durch die Über
weisung der Endentscheidung an einen kollegia-
lisch zusammengesetzten Gerichtshof, wie dies jetzt
bei uns der Fall ist, wird eine gute Strafrechtspflege
nicht gewährleistet, da kein geistiger Kampf über
Schuld oder Nichtschuld in mündlicher Rede unmit
telbar vor dem entscheidenden Richterkollegium
geführt wird, das demnach auch nicht in der Lage
sein kann, den Straffall in allen seinen Windungen
und Verwicklungen im Angesichte des Angeschul
digten und der Zeugen selbst zu prüfen, den Schein
vom Wesen zu sondern, die begangenen Irrtümer,
Lücken und Missdeutungen der schriftlichen Unter
suchung zu erkennen.» ... «Ohne der strengen
Rechtlichkeit und Gewissenhaftigkeit jener Männer,
welche bisher ausser den drei rechtskundigen Rich
tern den Strafverhandlungen als so genannte Ge
richtszeugen, 99 gleichsam an Stelle des Publikums,
beiwohnten, in irgend einer Weise nahe treten zu
wollen, kann diese Einrichtung nicht als genügend
angesehen werden, weil diese Beisitzer, sei es durch
Gewohnheit und Langeweile, sei es durch den Ein
fluss des geistig und bürgerlich höher gestellten
Richters, leicht zu nichtsbedeutenden Figuranten
herabsinken, die allen Handlungen des Richters
durch ihre in der Regel stets bereitwillige Unter
schrift den Stempel der Gesetzlichkeit aufdrücken.»
Nach dieser Kritik des Inquisitionsprozesses wer
den die Vorzüge des mündlichen und öffentlichen
Verfahrens dargelegt. Daran knüpft sich die Erwar
tung, dass mit der Gesetzesreform auch das Institut
der Staatsanwaltschaft geschaffen werde. Der öf
fentliche Ankläger sei notwendig, da die bestehende
Verbindung dieses Amtes mit dem des Richters un
natürlich sei und den Angeklagten gefährde.
Schliesslich wird die bisher fehlende Assistenz des
Angeklagten durch einen frei gewählten rechtskun
digen Verteidiger und die klare Trennung zwischen
polizeilicher Ermittlung und eigentlicher gerichtli
cher Kriminaluntersuchung gefordert. Es folgen
Überlegungen zum Laienrichtertum, insbesondere
zur Geschworenengerichtsbarkeit: «Da es ferner ein
anerkannter Erfahrungssatz ist, dass gerade der
grösste Scharfsinn und die schärfste Kombinations
gabe des Juristen nicht selten geneigt sind, künstlich
eine historische Gewissheit aufzubauen, wo keine
zu finden ist und dass da, wo keine künstliche Be
weistheorie gilt, der im Leben gereifte, gesunde Ver
stand des gebildeten Mannes mindestens ebenso ge
schickt, ja vielmals noch tauglicher ist, die Frage
über Schuld oder Nichtschuld (Tatfrage) zu ent
scheiden, als der technisch gebildete rechtsgelehrte
Verstand, so können wir nicht umhin, auch unsere
Sympathien für die Geschworenen-Gerichte kund
zugeben, obgleich wir nicht verkennen können,
dass der Einführung dieses Instituts sich bei uns
grosse, wohl aber nicht unüberwindbare Hindernis
se in den Weg stellen werden. Übrigens haben ande
re kleine Staaten sowohl in Deutschland und ander
wärts bewiesen, dass die Einführung der Schwurge
richte von der Anzahl der Bewohner und der Qua
dratmeilen nicht bedingt ist. - Nur durch die
Schwurgerichte gewinnt, unseres Erachtens, die