GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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der in der gleichen Zusammensetzung. «Sollte der
Landtag auf der Beibehaltung der Beisitzer beste
hen, könnte die Regierung nachträglich dieses Zu
geständnis machen», kommentierte der Landesver
weser. Die Beseitigung der Beisitzer rechtfertige
sich durch den Schutz, den die Angeklagten durch
Anberaumung der mündlichen Schlussverhandlung
und Zuweisung eines Anwalts erhielten. Volksver
treter im Gericht wurden offensichtlich vom Land
tag gefordert. Die Regierung agierte zurückhaltend.
Nach erfolgter Prüfung und Bearbeitung durch das
Appellationsgericht wurde der Gesetzesentwurf
dem Landtag vorgelegt. Dieser setzte sich ausserge-
wöhnlich sorgfältig und gründlich mit der Vorlage
auseinander. Die Gesetzgebungskommission des
Landtags beschloss am 26. Juni 1880, die Strafpro
zessnovelle Fachleuten zur Begutachtung vorzule
gen. Die Arbeit der Gutachter und der Landtags
kommission nahm längere Zeit in Anspruch, so dass
die Behandlung der Gesetzesvorlage auf 1881 ver
schoben wurde. 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97
Kritik an der geltenden Ordnung
Vor der Behandlung der Materie im Landtag äusser-
te sich ein unbekannter Verfasser in einer undatier
ten Beilage zum Liechtensteiner Volksblatt 98 zur Re
form der liechtensteinischen Strafrechtspflege. Der
Autor gab zwar vor, die Regierungsvorlage nicht zu
kennen. Einzelne seiner Aussagen deuten hingegen
darauf hin, dass ihm ihr Inhalt zumindest summa
risch bekannt war. Der Text kritisiert die damals gül
tige Ordnung und geht u. a. erstmals eingehend
auch auf Fragen der Mitwirkung des Volkes an der
Rechtspflege ein. Einzelne Passagen seien daher
wiedergegeben. Am Beginn steht die Aussage, dass
es die Rechtswissenschaft am besten verstanden
habe, das Publikum von ihrem Tun und Treiben zu
rückzuschrecken, dem sie ein mit sieben Siegeln
verschlossenes Buch sei. «Um Zivil- und Strafrecht
kümmert sich der Laie nur dann, wenn er in die un
erwünschte Lage kommt, einen Rechtsanspruch er
streiten oder gegen eine Anklage sich verteidigen zu
müssen.» ... «Justizreformen lassen daher im Allge
meinen kalt. Es ist somit auch zu befürchten, dass
die von Seite der Regierung in Aussicht gestellte Re
form der gegenwärtig gültigen Strafprozessord
nung, - dieses Musterstück strafgerichtlichen Zopf
tums, - im Ganzen ohne jeden Impuls einer lebhaft
86) Fürstliche Verordnung vom 30. Mai 1871 über die Trennung der
Justizpflege von der Administration (mit Amtsinstruktion für die
Landesbehörden des Fürstentums Liechtenstein), LGB1. 1871, Nr. 1.
87) Ebenda, § 42.
88) Ebenda, § 18.
89) Fürstliche Verordnung vom 20. Februar 1904 betreffend Ergän
zung der Amtsintmktion für die Landesbehörden des Fürstentums
Liechtenstein. LGB1. 1904, Nr. 3.
90) Amtsinstmktion für die Staatsbehörden des souveränen Fürs
tenthums Liechtenstein vom 26. September 1862, § 6
(www.gesetze.li).
91) Gesetz betreffend den Schuldenbetrieb im Fürstentum Liechten
stein vom 9. Oktober 1865, § 7. LGB1. 1865, Nr. 5.
92) Vgl. dazu: Schädler, Landtag. - Die Differenzen im Landtag und
zwischen Landtag und Regierung werden von Schädler nur kurz
erwähnt, ohne näher darauf einzugehen.
93) Vgl. oben, S. 32.
94) LLA Landtagsprotokoll, 22. Dezember 1874. LLA LTA 1874/L 14.
95) Schreiben Landesverweser von Hausen an fürstliches Appellati
onsgericht Wien, 17. 2. 1879. LLA RE 1879, Nr. 229.
96) Gemeint sind wohl die Laien, die gemäss der österreichischen
Strafprozessordnung im Untersuchungsverfahren von 1853 als
Gerichtszeugen anwesend sind. Vgl. oben, S. 54 f.
97) LLA Landtagsprotokoll, 21. August 1880.
98) Einblattdruck «Zur Reform der liechtensteinischen Strafrechts
pflege», «Beilage zum Liechtensteiner Volksblatt»; liegt im Regie-
mngsakt zur Strafprozessnovelle (LLA RE 1879, Nr. 229).
In einem 1879 als Beilage
zum Liechtensteiner Volks
blatt erschienenen Ein
blattdruck äusserte sich
ein unbekannter Verfasser
eingehend zur Reform der
liechtensteinischen Straf
rechtspflege.