GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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zweier Gerichtszeugen vorzunehmen, die das darü
ber erstellte Protokoll zu unterzeichnen hatten. 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79
Gerichtszeugen mussten volljährig, unbescholten
und bei der Sache unbeteiligt sein. 80 Ihr Dienst galt
als Bürgerpflicht und war unentgeltlich zu leisten.
Er traf zunächst Bewohner jener Gemeinde, wo die
Untersuchung vorgenommen wurde. Die Gemein
devorsteher hatten dem Untersuchungsgericht «ei
ne hinlängliche Anzahl von, zu dem Amte eines Ge
richtszeugen tauglichen Männern bekannt zu ge
ben», die dann vom Untersuchungsrichter per
Handschlag verpflichtet wurden. 81 Auch ein gericht
licher Augenschein oder die Entsiegelung und Sich
tung von bei einer Hausdurchsuchung beschlag
nahmten Dokumenten waren im Beisein von zwei
Gerichtszeugen vorzunehmen. 82 In Liechtenstein
wurden mit der Rezeption des österreichischen
Strafgesetzes von 1852 offensichtlich auch die Be
stimmungen der Strafprozessordnung über den Bei
zug von Gerichtszeugen angewendet. Es ist dies aus
den Regierungsunterlagen 83 und einem Zeitungsbe
richt zur Reform der liechtensteinischen Straf
rechtspflege von 1879 84 zu ersehen.
VERFASSUNG VOM 26. SEPTEMBER 1862 -
ÜBERGANG VOM ABSOLUTISMUS ZUM
KONSTITUTIONALISMUS 85
Mit der Verfassung vom 26. September 1862 war die
Revolution von 1848 bewältigt und der Übergang
vom Absolutismus zum Konstitutionalismus durch
freie Vereinbarung zwischen Fürst und Volk vollzo
gen. Das Gerichtswesen wurde durch die gleichzei
tig mit der Verfassung erlassene Amtsinstruktion
geordnet. Von den drei Instanzen lag nur die erste,
das Landgericht, im Land selber. Die Hofkanzlei in
Wien wirkte weiterhin als liechtensteinisches Ap
pellationsgericht und das österreichische Oberlan
desgericht in Innsbruck bildete gemäss den frühe
ren Übereinkünften den obersten Gerichtshof für
das Fürstentum.
Zwar sprach die Verfassung den Grundsatz der
Unabhängigkeit der Gerichte von aller Einwirkung
der Regierung aus (§ 34). In Bezug auf den obersten
Gerichtshof traf dies uneingeschränkt zu. Bei der
Hofkanzlei galt das nur mehr bedingt, da die Hof
kanzleibeamten als Diener des Fürsten von diesem
beliebig ernannt und entlassen werden konnten.
Eine eigentliche Verquickung von Verwaltung und
Rechtsprechung fand beim Landgericht statt, indem
ihm neben der Justizpflege umfangreiche Aufgaben
in der Verwaltung zugewiesen wurden. Dem Lan
desverweser stand zudem ein Aufsichtsrecht über
die Rechtsprechung zu. Die Unabsetzbarkeit der
Richter und damit ihre persönliche wie sachliche
Unabhängigkeit waren nicht gewährleistet.
Neben den ordentlichen Gerichten waren in Zi
vilsachen auch Schiedsgerichte zulässig (§ 37).
Schwurgerichte, wie sie 1848 gefordert und vorge
sehen wurden, waren jedoch nicht mehr eingesetzt.
Die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichts-
66) Vgl. Ospelt, S. 237 f.
67) Verfassungsentwurf, 1. Oktober 1848, § 16.
68) Ebenda, § 17, § 106, § 110, § 112.
69) Ebenda, § 34.
70) Ebenda, § 106, § 112.
71) Ebenda, § 108.
72) Ebenda, § 111.
73) Ebenda, § 113.
74) Vgl. Geiger, S. 120.
75) Ebenda, S. 174.
76) Vogt, S. 94 f.
77) Vgl. oben, S. 31 f.
78) Kaiserliches Patent vom 29. Juli 1853, womit eine neue Strafpro
zess-Ordnung erlassen wird (Reichsgesetzblatt für das Kaiserthum
Österreich, Jg. 1853).
79) Ebenda, § 67.
80) Ebenda, § 68.
81) Ebenda, § 68 und 69.
82) Ebenda, § 77 und 108.
83) LLA RC 107/161.
84) Einblattdruck «Zur Reform der liechtensteinischen Strafrechts
pflege», «Beilage zum Liechtensteiner Volksblatt»; liegt im Regie
rungsakt zur Strafprozessnovelle (LLA RE 1879, Nr. 229).
85) Vgl. dazu Geiger, S. 298-300; Ospelt, S. 239 f.