54
in jeder Gemeinde ein Friedensgericht, bestehend
aus Gemeindevorsteher und vom Landtag bestimm
ten Mitgliedern, sowie in jeder Landschaft ein Ober
friedensgericht vor. Als zweites Gericht sollte in je
der Landschaft ein Landgericht, bestehend aus ei
nem Landrichter und zwei «der Verfassung und der
Gesetze des Landes wohl kundigen Rechtsmän
nern» errichtet werden. Dritte Instanz sollte ein
Obergericht in Vaduz bilden, bestehend aus den Be
amten der Landesregierung und unter dem Vorsitz
des Landesverwesers, «die alle der Landesgesetze
vollkommen kundig sein» mussten. In Strafsachen
sollten die Schwurgerichte über Schuld oder Nicht
schuld entscheiden. 66
Entwurf des Verfassungsrats
Die Anschauungen Peter Kaisers und Franz Josef
Oehris fanden Eingang in die Arbeit des vom Volk
gewählten Verfassungsrates. Der vom Verfassungs
ausschuss dem Fürsten vorgelegte Entwurf sah das
mündliche und öffentliche Gerichtsverfahren 67 , den
Anklageprozess und Schwurgerichte in Strafsa
chen 68 vor. Wie in Gesetzgebung und Verwaltung
sollte «die höchste Gewalt auch in der Rechtspflege
beim Fürsten und Volke vereint» sein. 69 Es waren
drei Gerichtsinstanzen vorgesehen, als erste in der
Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg
je ein Bezirksgericht, als zweite das Landgericht in
Vaduz und als dritte das Revisionsgericht und der
oberste Gerichtshof in Wien. 70 Alle Mitglieder des
Bezirksgerichts waren durch den Landtag zu wäh
len. 71 Ihm stand auch die Wahl von vier Mitgliedern
des Landgerichts zu, das unter dem Vorsitz des Lan
desverwesers stand. 72 Auch Schiedsgerichte waren
zulässig. 73 Der Grundrechtskatalog gewährleistete
dem einzelnen u. a. Gleichheit vor dem Gesetz,
Recht auf den zuständigen Richter und die Teilnah
me an der Gerichtsbarkeit durch Schwurgerichte.
Die konstitutionellen Übergangsbestimmungen
von 1849 setzten eine Reihe von Artikeln des von
der Volksvertretung eingereichten Verfassungsent
wurfes provisorisch in Kraft, insbesondere jene, die
besagten, dass die höchste Gewalt in Gesetzgebung,
Verwaltung und Rechtsprechung «beim Fürsten
und Volke vereint» liege. Die Funktionen der Recht
sprechung wurden aber noch weggelassen. Nur die
Friedensgerichte in beiden Landschaften wurden
grundsätzlich gutgeheissen. 74 Der vom Landtag
nach den Wünschen des Fürsten revidierte und am
14. Januar 1850 beschlossene Verfassungsentwurf
wollte das Gerichtswesen in allen drei Instanzen im
Lande halten. Er sah die Volkswahl der Richter, die
Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens und
die Zulässigkeit von Schiedsgerichten vor. Der Ent
wurf gelangte wie alle früheren Verfassungsentwür
fe nicht zur Verwirklichung.
Nach dem Scheitern der Revolution in den deut
schen Einzelstaaten setzte sich auch in Liechten
stein die Reaktion durch. Mit fürstlichem Erlass vom
20. Juli 1852 wurden die provisorischen Verfas
sungsbestimmungen ausser Kraft gesetzt. Die alte
Rechtsordnung und die Landständische Verfassung
von 1818 erlangten wieder volle Wirksamkeit. 75 Da
mit verschwanden auch alle Ansätze zu einer Laien
beteiligung in der Gerichtsbarkeit.
Liechtenstein war 1843 von der «automati
schen» zur so genannten «autonomen» Rezeption
der österreichischen Gesetze übergegangen. In en
ger Anlehnung an das österreichische Vorbild wur
den eigenständige liechtensteinische Gesetze erlas
sen. In diesem Anpassungsprozess geriet das Land
allmählich in immer grösseren Rückstand zur Ent
wicklung in Österreich. So wurde die Novelle zum
österreichischen Strafgesetz (1852) in Liechtenstein
erst auf den 1. Januar 1860 in Kraft gesetzt. 76 Zu
nächst resultierten aus diesem Rückstand in der
Rechtsanpassung keine wesentlichen Unterschiede
in Rechtsprechung und Gerichtsorganisation. Denn
auch in Österreich war man zum absolutistischen
System zurückgekehrt. Man hatte den Inquisitions
prozess in gemilderter Form wieder eingeführt und
wesentliche Prozessprinzipien der Reform von
1848/49 abgeschafft. Für eine Laienbeteiligung in
der Rechtsprechung gab es in beiden Ländern kaum
Raum. 77
Die österreichische Strafprozessordnung von
1853 sah eine geringfügige Laienbeteiligung ledig
lich noch im Untersuchungsverfahren vor. 78 Die Er
hebung des Tatbestandes hatte der Untersuchungs
richter oder das zuständige Gericht in Gegenwart