GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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tionsnorm, ein «bürgerliches, peinliches und Poli
zeigesetz» samt entsprechender Verfahrensord
nung zu erarbeiten. 52 Damit wurde auch subsidiäres
Reichsrecht, so die Peinliche Gerichtsordnung Karls
V. (PGO) und die Polizeiordnung von 1732, ersetzt.
Gemäss den Dienstinstruktionen wurde der bis
herige Beizug der Landammänner zu den Verhörta
gen als Beisitzer aufgegeben. Die gerichtlichen Ver
handlungen waren vom Oberamt, bestehend aus
Landvogt, Rentmeister und beeidetem Gerichtsak
tuar, durchzuführen. Nur in Polizei- und Strafsa
chen war «der betreffende Ortsrichter des Untersu
chenden» beizuziehen. 53 Die Landammanngerichts
barkeit wurde ganz abgeschafft. Allein das Oberamt
hatte die Gerichtsbarkeit mit Unterstützung der von
ihm aus einem Dreiervorschlag der Gemeinden be
stellten Ortsgerichte (Gemeindevorstehungen) aus
zuführen. 54
Der Landvogt hatte für all jene Bereiche gesetzli
che Regelungen zu schaffen, in denen in Österreich
seit Josef II. Gesetze und Kodifikationen bereits aus
gearbeitet waren oder noch in Bearbeitung standen.
Die in Österreich Ende des 18. Jahrhunderts durch
geführten Reformen im Rechts- und Gerichtswesen
wurden in Liechtenstein also erst etliche Jahre spä
ter angegangen.
Nachdem erste Gesetze noch selbständig ausge
arbeitet worden waren, ging Fürst Johann I. bereits
1812 zur systematischen Rezeption der österrei
chischen Gesetzgebung über. In diesem Jahr wur
den das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch von
1811, die allgemeine bürgerliche Gerichtsordnung
von 1781 und das Strafgesetz von 1803 übernom
men. Damit war auch ein neues rechtliches Funda
ment für die Gerichtsorganisation gegeben.
Mit dem Wegfall der Reichsinstanzen gab es in
Liechtenstein nur noch zwei Gerichtsinstanzen, das
Oberamt als Regierungsbehörde und Gerichtsbe
hörde erster Instanz, sowie die fürstliche Hofkanzlei
in Wien als Appellationsgericht. Nach der Aufnah
me Liechtensteins in den Deutschen Bund 1815
musste das Fürstentum auch eine dritte Gerichtsin
stanz schaffen. Sie konnte 1818 beim Oberlandesge
richt Innsbruck eingerichtet werden. Die Landstän
dische Verfassung von 1818 nahm lediglich Bezug
auf die eingeführte österreichische Gerichtsord
nung und dritte Gerichtsinstanz, enthielt aber keine
neuen Bestimmungen zur Rechtspflege. Nach § 16
hatte der Ständelandtag «im bürgerlichen, politi
schen und peinlichen Fache» keine Mitsprache, so
gar Vorschläge zu machen, war ihm verboten. 55
Mit der Staatsreform von 1808 waren jegliche
Mitwirkung von Laien und Beteiligung des Volkes an
der staatlichen Gerichtsbarkeit beseitigt worden.
Gemäss Strafgesetz 1803 war im Verfahren bei
schweren Polizeiübertretungen die Gerichtsbarkeit
durch die politischen Obrigkeiten auszuüben
(§276). Die zuständige Behörde hatte aus einem
Richter und einem Aktuar zu bestehen (§ 290). In
Liechtenstein hatte das Oberamt diese Funktion.
Eine winzige, unscheinbare Spur des Einbezugs
der Bevölkerung in das Gerichtsverfahren legte
§137 der Allgemeinen Gerichtsordnung von 1781.
Danach war zu einem vollständigen Beweise, wenn
er durch Zeugen geführt werden wollte, die einstim
mige Aussage zweier unbedenklicher Zeugen erfor
derlich. Durch eine solche rechtliche Überweisung
(ordentlicher Beweis) war im Strafverfahren ge-
52) Ebenda, Punkt 1.
53) Ebenda, Punkt 11.
54) Ebenda, Punkt 12.
55) Zur landständischen Verfassung vgl. Quaderer, S. 12-30.
Schlussseite des Rechts
gutachtens der juristischen
Fakultät der Universität
Freiburg i. Br. vom
26. November 1799. Die
Schlussfolgerungen des
Gutachtens bildeten den
endgültigen Entscheid im
Streit zwischen den Ge
meinden Schaan und Va
duz über die Aufteilung
des Gemeindegebiets.