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der Dreiervorschlag für eine fällige Ersatzbestellung
nicht mehr durch die Landsgemeinde, sondern
durch die verbliebenen Richter. 25
Das Gerichtsverfahren war je nach dem Gegen
stand der Klage verschieden. Handelte es sich um
Schuldforderungen, waren die Bestimmungen des
«Schuld- und Gantgerichts» massgebend. Bei klei
neren Übertretungen der Polizeiordnung sass das
Gericht als «Frevel- oder Bussgericht». Beim Male
fizgericht oder Hochgericht wurden Strafsachen
(mit Lebensstrafen verbundene Fälle wie Totschlag,
Notzucht und Diebstahl) abgehandelt, ursprünglich
vom Grafen als oberstem Gerichtsherrn selbst oder
seinem bevollmächtigten Ammann, später vom
Landammann. Das Malefizgericht hatte ein beson
ders feierliches Verfahren.
Jährlich zwei Mal wurde das ordentliche oder
Zeitgericht (Maien- und Herbstgericht) einberufen.
Die Gerichtsverhandlungen fanden an einem öffent
lichen Platz (in der oberen Landschaft in Vaduz bei
der Linde unterhalb der Kapelle St. Florin; in der
unteren Landschaft bei der Kapelle HL Kreuz auf
Rofenberg) statt. Der Platz war durch hölzerne
Schranken ringförmig abgegrenzt. Innerhalb des
Ringes nahmen der Landammann und die zwölf
Beisitzer Platz. Ausserhalb der Schranken standen
als «Umstand» die Gerichtsleute, die grossjährigen
Untertanen des Gerichtsbezirks, die zur Teilnahme
am Gerichtstag verpflichtet waren. Sie waren an der
Urteilsfindung nicht beteiligt.
Recht und Urteil wurden vom Landammann er
fragt. Er richtete entsprechende Fragen an die bei
sitzenden Urteilsprecher. Diese berieten sich und
fassten das Urteil. Nach der Verlesung des Urteils
brach der Landammann im Falle eines Todesurteils
den Stab.
Weitere Gerichtsorgane waren der Gerichts- oder
Landschreiber und der Gerichtsweibel. Der Land
schreiber war als Beamter wie der Vogt (Landvogt)
an die Herrschaft gebunden. Er führte das Protokoll
bei den Gerichtsverhandlungen, verfasste die schrift
lichen Urteile und fertigte öffentliche Urkunden aus,
die vom Landammann besiegelt wurden.
Der ebenfalls von der Herrschaft bestellte und
vereidigte Gerichtsweibel oder Gerichtsdiener rief
das Gericht aus. Er zeigte Frevel und Verbrechen an
und nahm Pfändungen vor. Er sass während der Ge
richtsverhandlung gemeinsam mit dem Landschrei
ber neben dem Landammann.
Das Gerichtsverfahren zeichnete sich durch seine
Öffentlichkeit und Mündlichkeit aus. Das Beweisver-
fahren war öffentlich. Die Beweise mussten öffent
lich, in Gegenwart der Parteien, des Gerichts und
des Gerichtsumstandes, geführt werden. Dadurch
dass das Volk, der «Gerichtsumstand», als Zeuge zu
gegen war, wurde der Anspruch an die Richter auf
eine gerechte Urteilsfindung erhöht. Die Aussagen
der Ankläger, des Angeklagten und deren Zeugen
wurden so aufgezeichnet, wie sie mündlich geäus-
sert wurden. Zu allen Gerichten waren Fürsprecher
zugelassen.
Im Rahmen der Gerichtsgemeinden war die Be
völkerung an der Handhabung des Rechtswesens
beteiligt. In den Maien- und Herbstgerichten konn
ten die Untertanen ihre Rechtsangelegenheiten
weitgehend autonom regeln. Das öffentliche und
mündliche Verfahren garantierte die Rechtssicher
heit. Die alten Gerichte waren sowohl hinsichtlich
der Örtlichkeit (offen, unter freiem Himmel) als auch
durch Zulassung von Zuschauern ausserhalb der
Gerichtsschranken (Umstand) öffentlich. Durch das
alte Gerichtswesen war das Zusammenleben des
Volkes wesentlich geregelt. Landammann und Bei
sitzer waren Männer aus dem Volk und Garanten
für dessen weitgehende Autonomie im Rahmen von
Recht und Gerichtsbarkeit. Das Volk lernte seine
Richter kennen. Misstrauen und Argwohn wurde
vorgebeugt. Rechtsgefühl und Rechtswissen des Vol
kes wurden gestärkt.
Appellationsinstanz für die Urteile des Landam
manngerichts war das Hofgericht in Vaduz. Es setz
te sich zusammen aus den herrschaftlichen Beam
ten (Vogt und Landschreiber), sowie den Ammän
nern und Gerichtsleuten. Den Vorsitz führte der
Landvogt. Letztentscheidende Appellationsinstan
zen waren die Reichsgerichte.
Die seit dem 14. Jahrhundert von den Landesher
ren eingesetzten Stellvertreter werden anfänglich
als Ammänner oder Amtmänner, ab dem 16. Jahr
hundert als Landvögte bezeichnet. Sie gehörten viel