GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Gerichtsge
meinde erkennbar: Personen, die aus dem Kreis der
im Amtsprengel sesshaften Untertanen stammen,
sind von der Herrschaft mit der Ausübung hoheitli
cher Aufgaben betraut. Bei der Bestellung der Am
männer können die Untertanen zunächst noch nicht
mitbestimmen. In Vorarlberg setzte sich das Am
mannwahlrecht seit dem 14. Jahrhundert durch.
Wir dürfen annehmen, dass im 15. Jahrhundert
auch in unserem Gebiet die Ammänner vom Volk
gewählt wurden. Zeitlich lässt sich dies nicht fixie
ren. Ein sicherer Beleg für ein solches Wahlrecht
und die Volkswahl findet sich erst im Sulzisch-ho-
henemsischen Urbar 1617/19.
Die bäuerlichen Versammlungen innerhalb der
Grundherrschaft und im genossenschaftlichen Zu
sammenschluss waren den alten Volksversammlun
gen nachgebildet. Genossenschaftliche Zusammen
schlüsse waren in der ganzen Bauernschaft wesent
lich. Das zeigte sich in der rechtlichen und wirt
schaftlichen Bedeutung der Nachbarschaft, der
Dorf- und Kirchgemeinde. Im 14. Jahrhundert be
gegnen uns in den Urkunden auf der Ebene der Dör
fer als Gemeinden fassbare Personenverbände, vor
allem im Zusammenhang mit genossenschaftlicher
Alpnutzung. Als Wirtschaftsgemeinden hatten sie
gewisse Selbstverwaltungs- und Ordnungskompe
tenzen, jedoch keine eigene richterliche Kompetenz.
Für ein Genossengericht und Dorfammänner neben
den adeligen Amtmännern gibt es in dieser Zeit kei
ne Belege. 19 Die Dorfgemeinden oder Nachbarschaf
ten stellten aber Urteilssprecher und hatten so An
teil an der Ausübung des unter der Leitung eines
herrschaftlichen Amtmanns stehenden Gerichts.
Die späteren Gerichtsgemeinden der oberen und
unteren Landschaft Vaduz und Schellenberg bauten
sich über den Dorfgemeinden auf. Sie bildeten Be
zirke mit eigenem Gericht und eigenem als «Lands
brauch» aufgezeichnetem Recht. Aus ihnen wurden
politische Gemeinschaften. Die Landschaften wur
den Träger staatlicher Aufgaben mit eigenem Haus
halt und Steuerrecht. Das Volk hatte hohen Anteil an
der Gerichtsbarkeit. Es hatte Wahl- und Vorschlags
rechte bei der Bestellung der Gerichtsorgane, die
auch aus seinen Reihen stammten. 20 Es sind jedoch
für die ganze Zeit wesentliche Einschränkungen zu
beachten: Die Gerichtskompetenz leitete sich von
oben her ab. Die Gerichtshoheit der Herrschaft war
ein Reichslehen, das bei jedem Herrschaftswechsel
neu bestätigt werden musste. Das Gerichtswesen
beruhte nicht auf der Souveränität des Volkes. Es
wurde von den Landsgemeinden immer im Auftrag
der Herrschaft wahrgenommen. 21
EIGENES GERICHT DER WALSER
Die im 13. Jahrhundert eingewanderten Walser hat
ten Kolonistenfreiheit und ein eigenes Gericht. Bei
ihnen wurde die gesamte Zivil- und Strafgerichts
barkeit mit Ausnahme der Blutgerichtsbarkeit
durch einen eigenen, frei gewählten Ammann aus
geübt. 1513 verloren die Walser ihre Vorrechte und
wurden den übrigen Untertanen gleichgestellt. 22
DIE GERICHTSORGANISATION
VOM 16. BIS 18. JAHRHUNDERT 23
Es ist denkbar, dass die Rechtsprechung in Vaduz im
späten 14. Jahrhundert noch nicht von einem insti
tutionell verfestigten Schöffengericht, sondern von
einem von Fall zu Fall zusammengesetzten Richter
kollegium ausgeübt wurde. Während des 15. Jahr
hunderts erfolgte dann aber jedenfalls die Entwick
lung zu einem genormten Richterkollegium, das
sich in den Quellen fassen lässt.
Über die Organisationsformen der ländlichen Ge
richte in unserer Region und die vom 16. bis 18.
Jahrhundert geltende Gerichtsverfassung in unse-
19) Kaiser, S. 202; Frömmelt, S. 40.
20) Bilgeri, II, S. 301 ff.
21) Niederstätter, S. 62.
22) Bilgeri, II, S. 71.
23) Vgl. dazu: Bilgeri; Burmeister, Verfassung; Niederstätter; (Vorarl
berg) und Kaiser, S. 357-363; Schädler, Rechtsgewohnheiten; Ospelt;
Schamberger-Rogl, Malefizgericht; Schamberger-Rogl, Landsbrauch,
S. 46 ff.; Hollaus, Maien- und Herbstgericht; Frömmelt.