GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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greifende reichs- und landesherrliche Normen
spielten eine geringere Rolle. Das Römische Recht
war durch örtliches Gewohnheitsrecht stark überla
gert.
DIE BILDUNG DER GERICHTSGEMEINDEN
DER OBEREN UND UNTEREN LANDSCHAFT
IM SPÄTMITTELALTER 17
Neben und zu Lasten der Königsgerichtsbarkeit bil
deten sich im Spätmittelalter zunehmend territoria
le Gerichtsbarkeiten. Aus den Gau- und Zentgraf-
schaften entstanden reichsunmittelbare Herrschaf
ten, die jene Hoheitsrechte behielten, die einst den
Grafen als königlichen Amtsträgern zugestanden
worden waren. Dazu gehörte wesentlich auch die
Gerichtsbarkeit. Die Gerichtsrechte, insbesondere
die Blutgerichtsbarkeit, wurden Grundlage der ent
stehenden Landeshoheiten. Die Landesherren wur
den de jure zu obersten Gerichtsherren. In diesen
Entwicklungsprozess gehört auch die allmähliche
Herausbildung der Grafschaft Vaduz und der Herr
schaft Schellenberg im 14. und 15. Jahrhundert.
Im späten 14. Jahrhundert ist für Vaduz als gräf
liches Herrschaftszentrum die Bildung eines klar
abgegrenzten Gebietes mit nur einem Gerichtsherrn
und einer eigenen Gerichtsorganisation erkennbar.
1342 entstand durch Teilung die selbständige Graf
schaft Vaduz. Die Inhaber der Grafschaft hatten
auch die hohe Gerichtsbarkeit inne. Die niedere Ge
richtsbarkeit hatte ihnen als Grund- und Vogtherren
schon früher zugestanden. 1396 wurde die Graf
schaft Vaduz vom König als reichsunmittelbares Le
hen nach Ordnung des Römischen Reiches bestätigt.
Am Eschnerberg erfolgte eine solche Territoriali
sierung aufgrund der herrschaftlichen Zersplitte
rung erst später in den 1430er Jahren. 18 Seit 1402
übten die Grafen von Vaduz die Hochgerichtsbarkeit
über den ganzen Eschnerberg aus. 1430 bestätigte
der König der Brandisischen Herrschaft die Aus
übung der Blutgerichtsbarkeit in Vaduz und Schel
lenberg und erweiterte den Privilegienbestand, in
dem eine Berufung an das königliche Landgericht
Unterrätien in Rankweil und an das königliche Hof
gericht in Rottweil ausgeschlossen wurde. Alle Un
tertanen, die auf brandisischem Gebiet wohnten,
durften nur noch vor den eigenen Gerichten abgeur
teilt werden. Ab 1434 war die Herrschaft Schellen
berg im Alleinbesitz der Brandiser, die sie der Graf
schaft Vaduz gleich stellten und mit einem eigenen
Hochgericht versahen.
Damit war die territoriale Voraussetzung für die
Entstehung der Landgemeinden Vaduz und Schel
lenberg geschaffen. Eine Beteiligung der lokalen Be
völkerung an der Ausübung von Herrschaft, an der
Handhabung von Gericht und Selbstverwaltung
durch die Untertanen, war aber noch nicht zu er
kennen. Die Leitung von Gericht und Verwaltung lag
anfänglich in den Händen herrschaftlicher dienst
adeliger Amtmänner. Eine gewisse Beteiligung des
Volkes an der Rechtsfindung und Rechtsprechung
war jedoch schon seit alter Zeit gegeben. Das Recht
wurzelte nämlich in der Gemeinschaft des Volkes
und wurde auch dort gesucht. Die Urteilssprecher
des Gerichts wurden zwar zunächst wie die Am
männer von der Herrschaft berufen. Sie stammten
jedoch aus dem Kreis der Gerichtsgenossen und wa
ren im Gerichtssprengel sesshafte Untertanen.
Die ersten bekannten Ammänner in Vaduz und
am Eschnerberg waren rein gräfliche Herrschafts
beamte, betraut vor allem mit Aufgaben der Verwal
tung grundherrlicher Rechte. Von 1354 bis 1366 ist
erstmals ein Ammann überliefert, der auch die Ge
richtsbarkeit ausübte, die Hauptfunktion der späte
ren Ammänner. 1390 wird urkundlich ein nichtade
liger Ammann bäuerlicher Herkunft erwähnt. Damit
17) Die Organisation und Beteiligung der Untertanen am Gerichts-,
Steuer- und Verwaltungswesen wird in der liechtensteinischen
Geschichtsschreibung unter dem Begriff «Landammannverfassung»
gefasst und behandelt. Sie ist erstmals von Peter Kaiser umfassend
dargestellt worden. Auf seine Darstellung bezieht sich im Wesentli
chen die nachfolgende historische Literatur, die keine grösseren
Korrekturen oder Änderungen enthält. Fabian Frömmelt hat erst
mals in seiner Lizentiatsarbeit (2000) vorhandenes Urkundenmateri
al eingehend untersucht und dabei nähere Erkenntnisse zu den
Gerichtsgemeinden Vaduz und Schellenberg gewonnen (vgl. dazu:
Kaiser; Schädler, Rechtsgewohnheiten; Ritter, Rupert; Ospelt, Graf
schaft Vaduz; Ospelt; 1342; Frömmelt).
18) Frömmelt, S. 29-37.