Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2010) (109)

GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN 
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT 
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greifende reichs- und landesherrliche Normen 
spielten eine geringere Rolle. Das Römische Recht 
war durch örtliches Gewohnheitsrecht stark überla 
gert. 
DIE BILDUNG DER GERICHTSGEMEINDEN 
DER OBEREN UND UNTEREN LANDSCHAFT 
IM SPÄTMITTELALTER 17 
Neben und zu Lasten der Königsgerichtsbarkeit bil 
deten sich im Spätmittelalter zunehmend territoria 
le Gerichtsbarkeiten. Aus den Gau- und Zentgraf- 
schaften entstanden reichsunmittelbare Herrschaf 
ten, die jene Hoheitsrechte behielten, die einst den 
Grafen als königlichen Amtsträgern zugestanden 
worden waren. Dazu gehörte wesentlich auch die 
Gerichtsbarkeit. Die Gerichtsrechte, insbesondere 
die Blutgerichtsbarkeit, wurden Grundlage der ent 
stehenden Landeshoheiten. Die Landesherren wur 
den de jure zu obersten Gerichtsherren. In diesen 
Entwicklungsprozess gehört auch die allmähliche 
Herausbildung der Grafschaft Vaduz und der Herr 
schaft Schellenberg im 14. und 15. Jahrhundert. 
Im späten 14. Jahrhundert ist für Vaduz als gräf 
liches Herrschaftszentrum die Bildung eines klar 
abgegrenzten Gebietes mit nur einem Gerichtsherrn 
und einer eigenen Gerichtsorganisation erkennbar. 
1342 entstand durch Teilung die selbständige Graf 
schaft Vaduz. Die Inhaber der Grafschaft hatten 
auch die hohe Gerichtsbarkeit inne. Die niedere Ge 
richtsbarkeit hatte ihnen als Grund- und Vogtherren 
schon früher zugestanden. 1396 wurde die Graf 
schaft Vaduz vom König als reichsunmittelbares Le 
hen nach Ordnung des Römischen Reiches bestätigt. 
Am Eschnerberg erfolgte eine solche Territoriali 
sierung aufgrund der herrschaftlichen Zersplitte 
rung erst später in den 1430er Jahren. 18 Seit 1402 
übten die Grafen von Vaduz die Hochgerichtsbarkeit 
über den ganzen Eschnerberg aus. 1430 bestätigte 
der König der Brandisischen Herrschaft die Aus 
übung der Blutgerichtsbarkeit in Vaduz und Schel 
lenberg und erweiterte den Privilegienbestand, in 
dem eine Berufung an das königliche Landgericht 
Unterrätien in Rankweil und an das königliche Hof 
gericht in Rottweil ausgeschlossen wurde. Alle Un 
tertanen, die auf brandisischem Gebiet wohnten, 
durften nur noch vor den eigenen Gerichten abgeur 
teilt werden. Ab 1434 war die Herrschaft Schellen 
berg im Alleinbesitz der Brandiser, die sie der Graf 
schaft Vaduz gleich stellten und mit einem eigenen 
Hochgericht versahen. 
Damit war die territoriale Voraussetzung für die 
Entstehung der Landgemeinden Vaduz und Schel 
lenberg geschaffen. Eine Beteiligung der lokalen Be 
völkerung an der Ausübung von Herrschaft, an der 
Handhabung von Gericht und Selbstverwaltung 
durch die Untertanen, war aber noch nicht zu er 
kennen. Die Leitung von Gericht und Verwaltung lag 
anfänglich in den Händen herrschaftlicher dienst 
adeliger Amtmänner. Eine gewisse Beteiligung des 
Volkes an der Rechtsfindung und Rechtsprechung 
war jedoch schon seit alter Zeit gegeben. Das Recht 
wurzelte nämlich in der Gemeinschaft des Volkes 
und wurde auch dort gesucht. Die Urteilssprecher 
des Gerichts wurden zwar zunächst wie die Am 
männer von der Herrschaft berufen. Sie stammten 
jedoch aus dem Kreis der Gerichtsgenossen und wa 
ren im Gerichtssprengel sesshafte Untertanen. 
Die ersten bekannten Ammänner in Vaduz und 
am Eschnerberg waren rein gräfliche Herrschafts 
beamte, betraut vor allem mit Aufgaben der Verwal 
tung grundherrlicher Rechte. Von 1354 bis 1366 ist 
erstmals ein Ammann überliefert, der auch die Ge 
richtsbarkeit ausübte, die Hauptfunktion der späte 
ren Ammänner. 1390 wird urkundlich ein nichtade 
liger Ammann bäuerlicher Herkunft erwähnt. Damit 
17) Die Organisation und Beteiligung der Untertanen am Gerichts-, 
Steuer- und Verwaltungswesen wird in der liechtensteinischen 
Geschichtsschreibung unter dem Begriff «Landammannverfassung» 
gefasst und behandelt. Sie ist erstmals von Peter Kaiser umfassend 
dargestellt worden. Auf seine Darstellung bezieht sich im Wesentli 
chen die nachfolgende historische Literatur, die keine grösseren 
Korrekturen oder Änderungen enthält. Fabian Frömmelt hat erst 
mals in seiner Lizentiatsarbeit (2000) vorhandenes Urkundenmateri 
al eingehend untersucht und dabei nähere Erkenntnisse zu den 
Gerichtsgemeinden Vaduz und Schellenberg gewonnen (vgl. dazu: 
Kaiser; Schädler, Rechtsgewohnheiten; Ritter, Rupert; Ospelt, Graf 
schaft Vaduz; Ospelt; 1342; Frömmelt). 
18) Frömmelt, S. 29-37.
	        

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