GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
31
Dadurch wurde die Unvoreingenommenheit des
Richters gegenüber dem Angeklagten eher gewähr
leistet. Verhandlungen in Strafsachen wurden wie
der öffentlich und mündlich. Nach § 179 der Pauls
kirchenverfassung sollten für alle schweren Strafsa
chen und politischen Vergehen Schwurgerichte ein
geführt werden. In der Zivilgerichtsbarkeit blieb es
bei der Besetzung der Kollegialgerichte mit Berufs
richtern.
Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts kam es in
fast allen deutschen Staaten zu Reformen des Straf
prozesses und dabei wieder zur Laienbeteiligung in
der Strafrechtspflege, entweder über Schwurgerich
te nach französischem Vorbild oder über Schöffen
gerichte, in denen Juristen und Laien gemeinsam
das Urteil fällten. Im Schwurgericht fällte eine Ge
schworenenbank allein den Schuldspruch. Eine aus
Berufsrichtern bestehende Richterbank belehrte die
Geschworenen über ihre Pflichten und setzte die ge-
setzmässige Strafe fest. Die Mitglieder der Geschwo
renenbank wurden jeweils durch Los aus dem Kreis
der vom Volk gewählten Geschworenen bestimmt.
Das altgermanische Ding wurde als Vorbild des
Schwurgerichts gepriesen. In ihm lebte das alte ger
manische Prinzip der Trennung von Richter und Ur
teilern wieder auf. Die Geschworenen entschieden
nämlich allein und unabhängig von den rechtskun
digen Berufsrichtern. Das Schwurgericht stand für
die Volksfreiheit und den Schutz vor bürokratischer
Willkür der Richter, an deren Unabhängigkeit vom
Herrscher man nicht recht glaubte.
Bald schon setzte Kritik an der im Zuge der Straf
prozessreformen wieder eingeführten Laienbeteili
gung ein. Besonders umstritten war die richterliche
Kompetenz der mit rechtsunerfahrenen Leuten be
setzten Geschworenenbank im Schwurgericht. So
wurden in Deutschland auf entsprechende Einwen
dungen hin 1924 die Schwurgerichte in Schöffenge
richte umgewandelt, in denen Geschworene und Be
rufsrichter gemeinsam einen Schuldspruch zu fällen
und die Strafe festzusetzen haben.
DIE ENTWICKLUNG DER LAIEN
GERICHTSBARKEIT IN ÖSTERREICH
IM 19. JAHRHUNDERT 10
Angesichts des nahen Verhältnisses Liechtensteins
zu Österreich, das sich besonders in der Rezeption
einer ganzen Reihe von österreichischen Rechtsvor
schriften und in der Überlassung österreichischer
Richter für den liechtensteinischen Justizdienst
zeigt, ist es angebracht, die dortige Entwicklung der
Reform des Strafverfahrens kurz näher zu betrach
ten.
Vorläufer des österreichischen Geschworenenge
richts war letztlich die Einführung der Laienge
richtsbarkeit in Deutschland 1848. Grundlagen da
für bildeten der Gedanke der Volkssouveränität und
das Misstrauen gegen vom Staat eingesetzte Berufs
richter. Der geheime Inquisitionsprozess sollte ab
geschafft werden. Die unter dem Druck der Revolu
tion erlassene Verfassung vom 25. April 1848 gab
für das Strafverfahren wesentliche Modernisie
rungstendenzen vor, so die Garantie der Unabsetz
barkeit der Richter, den Staatsanwalt als Anklagebe
hörde und die Prozessprinzipien der Mündlichkeit
und Öffentlichkeit des Verfahrens. Mit der Strafpro
zessordnung von 1850 wurden diese Modernisie
rungstendenzen umgesetzt und das Geschworenen
gericht eingeführt.
Mit der Rückkehr zum absolutistischen System
wurden die Schwurgerichte schon bald wieder ab
geschafft. Die Strafprozessordnung von 1853 insti
tutionalisierte die Bezirksämter als Bezirksgerichte
und Gerichtsbarkeit erster Instanz. Damit war auf
dieser Stufe die Trennung von Justiz und Verwal
tung wieder aufgehoben. Der Inquisitionsprozess
wurde in gemilderter Form wieder eingeführt. Mit
der Wiedereinführung des Inquisitionsprozesses
und der Abschaffung wesentlicher Prozessprinzi
pien war folgerichtig auch kein Platz mehr für Laien
auf der Richterbank.
Im Zeitalter des Konstitutionalismus erfolgten
dann wieder eine Umkehr im Staatsdenken und
10) Vgl. dazu Sadoghi, S. 37-125.