30
der althergebrachten Form waren kaum noch an
der Urteilsfindung beteiligt und wurden im Grunde
zu Gerichtszeugen degradiert. Der Gerichtsschrei
ber wurde zur wichtigsten Gerichtsperson, weil er
die Akten her stellte.
Die PGO führte letztlich zum endgültigen Ver
schwinden der Schöffen im Absolutismus. Die Ge
richte wurden mit beamteten abhängigen Berufs
richtern besetzt. Gerade in der Strafgerichtsbarkeit
fällten die absoluten Herrscher bis ins 19. Jahrhun
dert hinein häufig selbst die Entscheidung. Bedeu
tend in dieser Zeit war die Regelung eines Instan
zenzugs von Unter-, Ober- und Hofgericht, worauf
die heutige Gliederung beruht. Die Gerichte der hö
heren Instanz waren Kollegialgerichte, die mit
Rechtsgelehrten besetzt waren.
Die Veränderung der Gerichtsverfassung verän
derte auch Zeit und Ort des Gerichts. Die alten Ge
richtsversammlungen zu überlieferten Zeiten und
an öffentlichen Orten entsprachen nicht mehr den
Bedürfnissen. Gerichte mussten häufiger einberu
fen werden können. An die Stelle der Versammlun
gen unter freiem Himmel traten schliesslich Sitzun
gen von Berufsrichtern in verschlossenen Amtsräu
men. Gerichte wurden zu ständigen Behörden des
entstehenden Territorialstaats. Zuschauer gab es
keine mehr, denn das Verfahren wurde im Wesentli
chen nur schriftlich geführt. Es gab nichts mehr zu
hören und zu sehen. Recht wurde in Folterkammern
gefunden oder im versiegelten Briefverkehr mit
Rechtsfakultäten gesucht. Diese urteilten, ohne Be
schuldigte jemals gehört oder gesehen zu haben. Die
Verfahrensschritte des Inquisitionsprozesses blie
ben der Öffentlichkeit verborgen. Der Juristenstand
entwickelte sich vielfach zu einer dem Volk entfrem
deten Kaste.
DAS REFORMIERTE STRAFVERFAHREN
DES 19. JAHRHUNDERTS
Die Aufklärungsbewegung des 18. Jahrhunderts
veränderte Rechtsprechung und Gerichtsorganisa
tion grundlegend. Unter ihrem Einfluss sollte die
Rechtspflege von den typischen Fesseln der Obrig
keit zur Zeit der absoluten Monarchen befreit wer
den. Über die postulierte Gewaltenteilung wurde die
Loslösung der Rechtspflege von der exekutiven öf
fentlichen Gewalt angestrebt. Diese Ideen wurden
zuerst in Frankreich im Gefolge der Revolution um
gesetzt. Von ihnen stark beeinflusst war der Libera
lismus in Deutschland im 19. Jahrhundert. Er war
geprägt vom Kampf gegen den absoluten Staat, ins
besondere gegen die Kabinettsjustiz und die Polizei.
Sein politisches Ideal war eine Gerichtsverfassung
nach englisch-französischem Vorbild. Sein Bestre
ben war in erster Linie gegen das schriftliche und
geheime Inquisitionsverfahren gerichtet. Der vom
Staat abhängige Richter sollte einem Gericht wei
chen, das unabhängig von der Verwaltung in einer
öffentlichen und mündlichen Verhandlung eine ge
rechte Entscheidung suchte. Nach französischem
Vorbild wurde die Staatsanwaltschaft gefordert,
eine Anklagebehörde, die der Verteidigung der
Rechtsordnung dienen sowie zwischen Gericht und
Polizeibehörde vermitteln sollte. Um den staatlichen
Einfluss weiter zurückzudrängen, sollten wieder
Laien am Strafverfahren beteiligt werden, und zwar
in der Form von Geschworenengerichten, die über
die Schuld der Angeklagten zu befinden hatten. Die
se Gedanken fanden in der Paulskirchenverfassung
vom 28. März 1849 Eingang in die deutsche Gesetz
gebung. Die Paulskirchenverfassung diente den
deutschen Staaten als Richtung weisende Vorlage
eines reformierten Strafverfahrens. Unter dem Ein
druck der Geschehnisse von 1848 wurde es in den
meisten Einzelstaaten eingeführt. Der Anklagepro
zess sowie mündliches und öffentliches Verfahren
lebten wieder auf. Laien urteilten als Geschworene
bei schweren Verbrechen.
Neben den Grundrechten hatte die Gerichtsver
fassung der Paulskirche grosse Bedeutung. In ihr
war das Prinzip der Gewaltentrennung verankert.
Die wichtigste Bestimmung war jedoch der Grund
satz der Unabhängigkeit der Gerichte und der Aus
schluss von Eingriffen nichtrichterlicher Staatsor
gane in die Rechtspflege. Das Inquisitionsverfahren
wurde durch den Anklageprozess ersetzt. Vorunter
suchungen und Anklageerhebung erfolgten durch
die Staatsanwaltschaft als selbständige Behörde.