Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2010) (109)

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AUSWIRKUNGEN AUF DIE DEUTSCHE 
GERICHTSVERFASSUNG 
Im Spätmittelalter breitete sich die Strafjustiz stark 
aus. Straf- und Zivilrecht traten auseinander. Die 
Zuständigkeit der Gerichte teilte sich. Zwischen Kö 
nig und Landesherren änderten sich die Machtver 
hältnisse. Königliche Gerichtshoheit ging auf Lan 
desherren über. Es kam zu ständischen Differenzie 
rungen im Gerichtswesen. Zusätzlich entwickelte 
sich die kirchliche Gerichtsbarkeit. Als Ergebnis bot 
die Gerichtsverfassung im Alten Deutschen Reich 
ein verwirrendes Bild. 
Vom 15. Jahrhundert an wurden die Einflüsse 
der Rezeption römischen Rechts auch auf das deut 
sche Strafverfahrensrecht und die Gerichtsverfas 
sung deutlich. Wesentliches Charakteristikum des 
sich mit dem öffentlichen Strafrecht entwickelnden 
Inquisitionsprozesses war es nunmehr, die Wahr 
heit eines Sachverhalts zu ermitteln. Formale bishe 
rige Beweismittel wie Eideshelfer, Gottesurteile oder 
Zweikampf wurden mit der Zeit ausgeschlossen. Im 
Beweisrecht gewannen die Augenscheinsnahme, 
die Befragung von Tatzeugen und schliesslich das 
Geständnis der Beschuldigten an Bedeutung. Um 
ein Geständnis zu erlangen, wurde die Folter ange 
wandt. 
In Deutschland setzte sich im 15. und 16. Jahr 
hundert römisch-rechtlich stark beeinflusstes ober 
italienisches Recht allmählich durch. Mit der He 
rausbildung eines gelehrten Juristenstandes dran 
gen rezeptionsrechtliche Gedanken in Landes- und 
Reichsgerichtsverfassungen ein. Dabei wandelte 
sich insbesondere die Rolle der Laienrichter. Im rö 
mischen Recht geschulte Richter beeinflussten bald 
massgebend die Entscheidung der noch amtieren 
den Schöffen, die nur im heimischen Recht bewan 
dert waren. An die Stelle der bisherigen Laien traten 
nun vermehrt gelehrte Richter. Dazu trugen auch 
neue Verfahrensordnungen bei. Schwierige Rechts 
fragen waren einem höheren Gericht oder Rechts 
gelehrten der Universitäten vorzulegen. Akten 
mussten angelegt und versandt werden. Das war für 
die meisten Schöffen damals nicht zu bewältigen. 
Der Beizug von Juristen wurde unumgänglich. 
Die Landesfürsten minderten den Einfluss der 
Schöffen weiter, indem sie in den fürstlichen Kanz 
leien und den Gerichten abhängige Beamte anstell 
ten. Der Einfluss der Landesherren auf Verwaltung 
und Rechtsprechung wuchs stetig. Im Laufe von 
zwei Jahrhunderten wurden die Laien völlig aus der 
Rechtspflege verdrängt. Die Zeit des Absolutismus 
kannte nur noch beamtete Richter, die Recht nicht 
mehr durch, sondern für das Volk sprachen. Die Ge 
richte gerieten in die Abhängigkeit des Regenten 
und wurden zum Attribut der Polizei. 
Ungeachtet dieser Neuerungen lebte die alte 
Form der Rechtsprechung unter der Linde an vielen 
Orten bis ins 19. Jahrhundert fort. Und wenn sich 
auch in einigen wenigen Gebieten das Schöffenge 
richt lange erhalten konnte, entstand doch weithin 
eine tiefe Kluft zwischen Volk und Recht, da das 
neue Recht nicht auf dem Rechtsgefühl des Volkes 
aufbaute und dieses gänzlich von der Rechtsanwen 
dung ausgeschlossen war. 
DIE PEINLICHE GERICHTSORDNUNG (PGO) 
KARLS VI. VON 1532 
Die Peinliche Gerichtsordnung (PGO) Karls V. von 
1532 war das erste deutsche Reichsstrafgesetzbuch. 
Es regelte die Strafverfahren und enthielt Vorschrif 
ten zur Gerichtsorganisation sowie Regelungen ma 
teriellen Rechts. Danach waren die Gerichte mit ei 
nem Richter, mehreren Schöffen und einem Ge 
richtsschreiber zu besetzen. Der Richter leitete den 
Prozess, führte notwendige Untersuchungen und 
fällte zusammen mit den Schöffen das Urteil. In die 
ser endgültigen Abschaffung der Trennung von 
Richtern und Urteilern (Schöffen) liegt der Beginn 
der modernen Schöffengerichtsordnung. Gemäss 
PGO war das Volk noch an der Rechtsprechung be 
teiligt. Damit rezipiertes römisches Recht auch bei 
nicht gelehrten Richtern Anwendung fand, regelte 
die PGO die Aktenversendung zu den Oberhöfen 
oder Juristenfakultäten. Das Verfahren war vorwie 
gend schriftlich und mittelbar. Die unteren Gerichte 
waren meist nur mit dem Sammeln der Beweise im 
Vorverfahren befasst. Die Richter und Schöffen in
	        

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