Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2010) (109)

GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN 
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT 
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Neben den Volksgerichten bestand das Königsge 
richt, das am jeweiligen Aufenthaltsort des Königs 
tagte. Der König war oberster weltlicher Richter. Er 
(bzw. sein Hofgericht) übte die hohe Gerichtsbarkeit 
(Blutgerichtsbarkeit) selber aus oder gab sie über 
Bannleihe an Grafen oder Vögte weiter. Später be 
trachteten Fürsten und Landesherren die verliehe 
ne Gerichtsgewalt als eigenständiges, zumindest 
erbliches Recht. Diese Auffassung war Teil der Ent 
wicklung zum Territorialstaat, indem die Landes 
herren zu den eigentlichen Trägern der Gerichts 
barkeit wurden. 
Bis in die Neuzeit beruhte die Rechtsprechung 
der Gerichte vor allem auf dem Rechtsgefühl und 
Rechtsbewusstsein des Volkes, wie es in den Weistü- 
mern und Rechtsbüchern zum Ausdruck kam. Das 
Recht war Gemeingut aller. Es wurde vom Volk 
durch Erinnern an altes Herkommen nach freier 
Überzeugung von Fall zu Fall geschöpft. Die Ent 
scheidungsträger und Urteilsfinder waren keine 
rechtswissenschaftlich gelehrten Richter, sondern 
Angehörige des jeweiligen Gerichtsbezirks. Zur 
Rechtsfindung bedurfte es keiner formalen juristi 
schen Bildung. Die an der Urteilsfindung beteiligten 
Personen waren Laien, die jedoch in regionalen 
Teilbereichen durchaus über ein rechtskundliches 
Wissen verfügten. Das Rechtsverständnis war 
grundsätzlich genossenschaftlich. Es wurde in der 
Rechtsgemeinschaft gebildet und gründete nicht auf 
dem Willen von Herrschaftsträgern, sondern auf 
dem Willen der Gemeinschaft. Die Rechtsordnung 
war geprägt durch eine unsystematische, oft kurzle 
bige partikulare Regelungsvielfalt. 
Noch in der beginnenden Neuzeit war die gesam 
te Rechtspflege öffentlich. Das gesamte Verfahren 
von der Verfolgung bis zur Bestrafung einer Misse 
tat war öffentlich. Nur so konnten die des Lesens 
und Schreibens unkundigen Leute die rechtlichen 
Inhalte erfahren. Recht war nicht eine abstrakte 
Ordnung, sondern Lebensgrundlage aller. Deshalb 
beteiligten sich auch alle am Rechtsleben. 
REZEPTION DES GEMEINEN RECHTS 
(RÖMISCHES RECHT) 
Bis ins 13. Jahrhundert gab es kaum Rechtsgelehrte 
und keine Möglichkeit, sich juristisch ausbilden zu 
lassen. Dann wurde das römisch-kanonische Recht 
Grundlage der an Universitäten gelehrten Rechts 
wissenschaft mit logisch begründeten Rechtsgrund 
sätzen und -lehren. In Europa entstand der Beruf 
des Juristen. Für ihn war das vom Volk und im Ding 
praktizierte Recht etwas Fremdartiges, da es nicht 
einem gelehrten und professionellen Rechtswissen 
entsprang. Die abstrakten Regelungen der Lebens 
verhältnisse im gelehrten Recht wurden als eine ge 
rechtere Urteilsgrundlage empfunden als das alt 
überlieferte Gewohnheitsrecht. Das Bedürfnis nach 
einem einheitlichen und wissenschaftlich durchbil 
deten Recht sowie die humanistische Geisteshal 
tung förderten das Vordringen des gemeinen, rezi 
pierten römischen Rechts. Mit ihm kam wieder die 
antike Staatsauffassung zur Geltung. Das Gesetz 
war Ausdruck des Herrscherwillens. Der Herrscher 
selbst aber war frei von der Bindung an das Recht. 
Aus dem landesfürstlichen Recht, Verfahren an sich 
zu ziehen, bildete sich die so genannte Kabinettsjus 
tiz. Im Absolutismus fand dieser stetig wachsende 
Einfluss der Herrscher auf Gesetz und Recht seinen 
Höhepunkt. Auch in den aufkommenden Territorial 
staaten herrschte solches Streben nach Rechtsein 
heit und rationaler Verwaltung und Rechtspre 
chung. Nach und nach bildete sich so im Laufe der 
Jahrhunderte staatliches Recht, wie wir es heute 
kennen, und die Strafrechtspflege wurde eine Ange 
legenheit der staatlichen Gemeinschaft. 
8) Zu dieser Übersichtsdarstellung vgl. nachfolgende im Literaturver 
zeichnis aufgeführte Publikationen: Angehrn; Bader; Baltl; Benz; 
Carlen; Gmür; Grube; Kross; Linkenheil; Sadoghi; Schild; Wesel. 
9) Sadoghi, S. 255 f.
	        

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