Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2010) (109)

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Die Entwicklung der Beteiligung 
von Laien an der Gerichtsbarkeit 
EIN RECHTSGESCHICHTLICHER ÜRERRLICK 
ALLGEMEINER ÜBERBLICK. MITTEL 
EUROPÄISCHER RECHTSKREIS 8 
ZEITLICHE EINGRENZUNG 
Die Mitwirkung von Laien in der Rechtspflege, be 
sonders im Strafprozess, hat eine lange historische 
Entwicklung hinter sich. Eine historische Betrach 
tung der Laienbeteiligung darf nicht erst bei der im 
18. Jahrhundert geforderten Beteiligung des Volkes 
an allen Staatsfunktionen beginnen. Sie muss viel 
mehr schon beim germanischen Gerichtsverfahren 
ansetzen. Die Auswahl der Schöffen und die Wand 
lungen des Strafverfahrens dürfen nicht derart aus 
dem geschichtlichen Entwicklungsprozess heraus 
gerissen werden. Viele Regelungen bekommen erst 
durch Einfügen in diesen Prozess Sinn und Bedeu 
tung. Die Rolle der Laienrichter und ihre Befugnisse 
spiegeln die von den politischen und geistigen 
Strukturen der jeweiligen Epochen abhängige 
Wechselbeziehung von Recht sprechender Gewalt 
und Gesellschaft wider. Der im Laufe der Zeit unter 
schiedliche Gang der Urteilsfindung ist für die Legi 
timation der Strafgewalt sowie für die Beteiligung 
des Volkes an der Rechtsprechung von entscheiden 
der Bedeutung. Deshalb soll ihre historische Ent 
wicklung bereits seit dem Mittelalter dargestellt 
werden. 
RÄUMLICHE BEGRENZUNG 
Die Darstellung beschränkt sich auf den mitteleuro 
päischen Rechtskreis, bestehend aus Deutschland, 
Österreich, der Schweiz und Liechtenstein. Er ba 
siert auf dem germanisch-deutschen Recht und ist 
im Verwissenschaftlichungsprozess stark durch das 
römisch-gemeine Recht geprägt. Die Strafverfahren 
weisen eine gleichförmige historische Entwicklung 
auf. Sie führt vom mittelalterlichen privaten Ankla 
geprozess mit Eideshelfern und Gottesurteilen über 
den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen In 
quisitionsprozess bis zur Grundlegung des moder 
nen Strafprozesses im 19. Jahrhundert. 9 
DAS ALTE GERMANISCH-DEUTSCHE RECHT 
In der bis zu den Rechtsbüchern des 12. Jahrhun 
derts (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel) heraufrei 
chenden Epoche des alten deutschen Rechts lag die 
Rechtsprechung im Wesentlichen in den Händen 
des Volkes. Waren früher Streitigkeiten innerhalb 
der Sippen durch disziplinäre Selbsthilfe erledigt 
worden, so wurde in dieser Zeit Streit zunehmend 
statt durch Fehde vor Unparteiischen ausgetragen. 
Das germanische Gerichtswesen gründete auf 
der Teilnahme aller freien Volksgenossen an der Ge 
richtsversammlung, welche unter freiem Himmel, 
meistens an Opferstätten, abgehalten wurde. Es gab 
zwei Arten von Gerichtsversammlungen, das echte 
Ding, das zu bestimmten Zeiten an hergebrachter 
Gerichtsstätte abgehalten wurde, und das gebotene 
Ding, das je nach Bedarf zusammentrat. Das Gericht 
bestand aus einem Richter und der Gerichtsgemein 
de, die in ältester Zeit zusammen das Urteil fällten. 
Später wurde der Vorsitzende Richter, ein Graf oder 
königlicher Beamter, zum «Frager des Rechts». Er 
leitete die Verhandlung und erfragte das Urteil von 
der Gerichtsgemeinde oder einzelnen rechtskundi 
gen Urteilern (Schöffen). Diese Trennung zwischen 
Richter einerseits und Urteilsfinder andererseits 
kann als Grundsatz des germanischen Strafprozess 
rechts bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts verfolgt 
werden. 
Mit dem Entstehen des fränkischen Reiches zwi 
schen dem 5. und 9. Jahrhundert bildeten sich spe 
zifisch fränkische Prozesseinrichtungen. Es kam zur 
Unterscheidung zwischen hoher und niederer Ge 
richtsbarkeit. Neben den Volksgerichten entstand 
das fränkische Königsgericht, in dem der Beginn ei 
ner staatlichen Gerichtsbarkeit zu sehen ist. Zwi 
schen 770 und 780 reformierte Karl der Grosse das 
Gerichtswesen. Das echte Ding wurde auf drei Ge 
richtssitzungen im Jahr beschränkt. Am gebotenen 
Ding fanden auf Lebenszeit bestellte, ständige Ur 
teilsfinder (Schöffen) das Urteil. Die dingpflichtigen 
wehrfähigen Volksgenossen mussten daran nicht 
mehr teilnehmen. Sie wurden durch die Einführung 
des Schöffenamtes entlastet. Die Urteilsfinder wa 
ren in Rechtsdingen gut bewanderte Personen.
	        

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