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KRIEGSWIRTSCHAFT
WIE EIN SCHWEIZER KANTON
Am 1. September 1939 entfesselte Hitlerdeutsch
land den Krieg, der zum Weltkrieg wurde. Eines der
zentralen Kampffelder war die Wirtschaft. Kriegs
wirtschaft ist immer abnormale Wirtschaft. Auch
für die neutralen Länder Schweiz und Liechtenstein
waren Importe, Exporte, Lebensmittelzufuhr, Brenn-
und Rohstoffversorgung gestört, teils unterbunden.
Mangelwirtschaft war die Folge. Wie konnte sich
das neutrale Liechtenstein in der Kriegszeit versor
gen? Konnte die Ernährung gesichert werden,
durch Landwirtschaft und Importe? Gab es genü
gend Kohle, Treibstoff, Saatgut, Dünger? Erhielten
Industrie und Gewerbe Rohstoffe? Das Ländchen
hatte als einzige Ressourcen Landwirtschaftsboden
und Arbeitskräfte - und als Wirtschaftspartner die
Schweiz.
Zwei Begriffsklärungen sind vorweg erforderlich.
Zum einen spricht man von «Kriegswirtschaft», ob
wohl Liechtenstein und die Schweiz nicht selber im
Krieg standen; der rundum tobende Krieg diktierte
auch den beiden neutralen Ländern die spezifi
schen Wirtschaftsmassnahmen. Zum andern be
trifft «Kriegswirtschaft» zwar im engeren Sinne die
unmittelbaren Jahre des Krieges. Doch als 1945
Frieden einkehrte, konnte man nicht sogleich auf
normale «Friedenswirtschaft» umschalten. Viel
mehr musste die kriegswirtschaftliche Organisation
noch einige Zeit aufrechterhalten bleiben, als nach
wirkende Folge des Krieges, erst allmählich konnte
man sie auslaufen lassen. Die «Kriegswirtschaft»
umfasste folglich in Liechtenstein wie in der Schweiz
eigentlich die Zeitspanne von 1939 bis 1948.
Am 29. August 1939 beruhigte die liechtensteini
sche Regierung die Bevölkerung in einem Aufruf, die
Lebensmittelversorgung sei «durch die Schweiz si
chergestellt». 2 Liechtenstein hatte das Glück, sich
ganz in die schweizerische Kriegswirtschaft einfü-
gen zu können, wie ein Schweizer Kanton. Ab dem
Kriegsbeginn wurde im Fürstentum fast alles genau
wie in der Schweiz gehandhabt. Dies galt für die zu
nehmende Rationierung und Kontingentierung von
Gütern, für Ein- und Ausfuhr, für vermehrten Acker
bau, Motorverkehr, Preise, Kontrollen.
Wie war die Kriegswirtschaft organisiert? Über
bau und Rahmen auch für Liechtenstein war die
schweizerische Kriegswirtschaftsorganisation. An
der Spitze stand - unter Parlament und Bundesrat -
im Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement
die «Eidgenössische Zentralstelle für Kriegswirt
schaft». 3 Sie war in Ämter gegliedert. Deren wich
tigste waren das «Kriegs-Ernährungs-Amt» und das
«Kriegs-Industrie- und -Arbeits-Amt». Das «Kriegs-
Ernährungs-Amt» allein zählte elf Sektionen, unter
anderem für «Getreideversorgung», für «Milch und
Milchprodukte», für «Fleisch und Schlachtvieh», für
«Kartoffeln», für «Rationierungswesen». Jeder Kan
ton wiederum richtete eine «Kantonale Zentralstelle
für Kriegswirtschaft» mit Unterabteilungen ein, jede
Gemeinde dann spezielle Gemeindestellen. 4
2) Mitgeteilt der Regierung, 29. August 1939, und Aufruf der Regie
rung, 29. August 1939, LLA RF 193/56. - Rechenschaftsbericht der
Regierung (hiernach zitiert: Rechenschaftsbericht) für das Jahr
1939, S. 86 f.
3) Die Schweizerische Kriegswirtschaft 1939/1948, Bericht des
Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements, Herausgegeben von
der Eidgenössischen Zentralstelle für Kriegswirtschaft, Bern 1950,
1131 Seiten (hiernach zitiert als: Schweizerische Kriegswirtschaft). -
Die Eidgenössische Zentralstelle für Kriegswirtschaft wurde geleitet
von Ernst Schwarz, dem Direktor des Verbandes Ostschweizerischer
Landwirtschaftlicher Genossenschaften VOLG, danach ab 1941 bis
zur Aufhebung 1948 von Hans Schaffner, dem späteren Bundesrat.
4) Hans Schaffner: Die kriegswirtschaftliche Verwaltung des Bundes.
In: Schweizerische Kriegswirtschaft, S. 2-12. - Zu den Gemeindestel
len in der Schweiz vgl. etwa die kriegswirtschaftlichen Verlautbarun
gen von 1939 bis 1948 in der in Buchs erscheinenden Zeitung
<Werdenberger & Obertoggenburgen (W&O).