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SPEZIFISCH LIECHTENSTEINISCHE
RECHTSENTWICKLUNG
Die heutige Lösung der Laienbeteiligung an der Ge
richtsbarkeit ist auch geprägt durch die besondere
liechtensteinische Verfassungsgeschichte. Während
in den anderen Ländern des mitteleuropäischen
Rechtskreises die Verankerung der Staats- und Ge
richtsgewalt vom König und Landesherren ganz auf
das Volk verlagert wurde, blieb in Liechtenstein der
Dualismus von Rechten des Volkes und Rechten des
Monarchen bestehen und prägt bis heute die staatli
che Ordnung in besonderer Weise. Grundlage für
die Wiedereinführung der Laiengerichtsbarkeit in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete
nicht allein der Gedanke der Volkssouveränität, son
dern auch die Auffassung von vom Fürsten ausge
hender und durch ihn übertragener Gewalt.
Die 1848 formulierte Vorstellung einer beim
Fürsten und Volke vereinten höchsten staatlichen
Gewalt 320 wurde erst Jahrzehnte später in der Straf
rechtspflege verwirklicht. In Erinnerung an die
Landammannverfassung vor 1720 und an ihr
Schöffeninstitut nach altem deutschem Recht wurde
Laien wieder Beteiligung an der Rechtsprechung ge
währt. Laienrichter entschieden mit über die Schuld
oder Unschuld von Angeklagten. Die gefällten Urtei
le wurden jedoch im Namen des Fürsten erlassen.
Die von der Volksvertretung beschlossene Strafpro
zessordnung und die darin enthaltene Mitwirkung
von Laienrichtern waren nur mit seiner Zustim
mung zustande gekommen. Es war seine Regierung,
die wohl seinen Willen gegen denjenigen des Land
tages durchgesetzt und eine Mehrheit von Laien
richtern im Strafgericht verhindert hatte. Noch
deutlicher als bei der Zusammensetzung des Ge
richts wurde das Zusammenwirken von Rechten
des Volkes und des Fürsten beim Bestellungsmodus.
Im gemischten Senat waren der Landrichter und die
rechtskundigen Richter vom Fürsten ernannt, die
Laienrichter hingegen vom Landtag gewählt. Die in
direkt vom Volk bestellten Laienrichter bedurften
keiner Ernennung oder Bestätigung durch den Lan
desfürsten. 321
In der Verfassung von 1921, welche die liechten
steinische Staatsform der Monarchie auf eine parla
mentarische und demokratische Grundlage stellte,
kam der auf die Gerichtsbarkeit übertragene Grund
satz der im Fürsten und Volk verankerten Staatsge
walt unverkennbar zum Tragen. Einerseits fanden
die verstärkten Mitwirkungsrechte des Volkes an
der Gerichtsbarkeit Ausdruck in der für die erste In
stanz im Schöffengericht und Kriminalgericht neu
festgelegten Mehrheit von Laienrichtern, die allein
Kraft der Wahl durch den Landtag in ihr Amt bestellt
wurden. Dies galt mit Ausnahme des Präsidenten
und dessen Stellvertreter auch für die Mitglieder der
Verwaltungsbeschwerdeinstanz und des Staatsge
richtshofs. Auch in der Regelung, dass alle Gerichte
mehrheitlich mit liechtensteinischen Staatsbürgern
besetzt sein mussten, und dass der Einsitz von Lai
enrichtern in Straf- und Zivilsachen auch in den Re
kursinstanzen vorgesehen wurde, war eine Stär
kung der Volksrechte zu erkennen. Andererseits
blieben die Rechte des Landesfürsten gewahrt. In
seinem Auftrag wurde die gesamte Gerichtsbarkeit
ausgeübt. Er ernannte auf Vorschlag des Landtags
die Landrichter, die Vorsitzenden der Gerichtshöfe
des öffentlichen Rechts und deren Stellvertreter so
wie alle Richter der Rekursinstanzen. 322
Die Verfassungsrevision von 2003 liess die Zu
sammensetzung der Gerichte, insbesondere die Art
und das Mass der Laienvertretung, im Wesentlichen
unverändert. Die Aussage, wonach die gesamte Ge
richtsbarkeit im Namen des Fürsten und des Volkes
ausgeübt und die Entscheidungen der Richter in Ur
teilsform im Namen von Fürst und Volk erlassen
und ausgefertigt werden, macht die Besonderheit
der liechtensteinischen Staatsform und der Rege
lung der Rechtsprechung deutlich. Mit dem neu ein
geführten einheitlichen Bestellungsverfahren für
alle Richter wurde hingegen eine alte Rechtstraditi
on verlassen. In ihm kommt die Mitwirkung des Vol
kes einerseits noch indirekt durch den Einsitz von
Landtagsabgeordneten im Richterauswahlgremium
und im Wahlrecht des Landtags, andererseits durch
die vorgesehene Volksabstimmung im Falle einer
Ablehnung der vom Gremium vorgeschlagenen
Kandidaten durch den Landtag zur Geltung. Der