GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
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keit der Gerichte gestärkt und dem Volk Einfluss auf
die Justiz verschafft wurde. Durch die Laienbeteili
gung sollten die Berufsrichter kontrolliert und will
kürliche Entscheidungen vermieden werden. Sie
war vor allem Ausdruck von Misstrauen gegenüber
dem Staat und seinen beamteten Richtern.
Die Laienbeteiligung ist als eine Form der Demo
kratisierung der Rechtsprechung in der Landesver
fassung enthalten. Diese geht von der Koexistenz von
Berufsrichtern und Laienrichtern aus. Die Geschich
te der Laienbeteiligung bestätigt die Demokratisie
rungsfunktion der Laienrichter. Die Geschichte
spricht auch für die zweite wesentliche Aufgabe der
Laienrichter, das Vertrauen der Bevölkerung in die
Justiz zu stärken, indem sie die Berufsrichter in ihrer
Tätigkeit beobachten und kontrollieren.
Mit der Paulskirchenverfassung von 1848 wurde
zum ersten Mal die Forderung nach der Beteiligung
von Laien in der Strafgerichtsbarkeit für alle deut
schen Länder einheitlich festgeschrieben. Die Lai
enbeteiligung stellte dabei nur einen Teil von umfas
senden gesellschaftlichen und staatsrechtlichen
Forderungen dar, die im Anschluss an die französi
sche Revolution durchgesetzt werden sollten. 1881
wurde in der Strafprozessordnung zum ersten Mal
die Laienbeteiligung in der Strafrechtspflege in
Liechtenstein eingeführt. Sie ist bis heute beibehal
ten und nach 1921 noch ausgebaut worden.
Seit 1848 gab es immer wieder Kontroversen um
die Form der Laienbeteiligung im Gerichtswesen.
Klar ist jedenfalls herauszuheben, dass der Grund
für die Einführung der Mitwirkung von Laien in der
Justiz der Kampf gegen das beamtete Berufsrichter-
tum war. Die wechselvolle Geschichte des Laienrich
tertums hat gezeigt, dass dieses stets dann einge
schränkt wurde, wenn der Beschuldigte mehr als
Objekt gesehen, seine Rechte eingeschränkt wur
den, während die Staatsmacht uneingeschränkt
und unkontrolliert agierte. Geschworene und Schöf
fen wurden im Laufe der Geschichte stets dann be
seitigt, wenn im Sinne eines autoritären Regiments
mit dem Angeklagten kurzer Prozess gemacht wur
de, wenn seine Rechte empfindlich eingeschränkt
wurden und die Staatsmacht im Bereich der Straf
gerichtsbarkeit frei schalten und walten wollte.
Das Jahrhunderte lange Misstrauen gegenüber
der Justiz und ihren Berufsrichtern war ausschlag
gebend für die Laienrichterbeteiligung insbesonde
re im Strafprozess. Damit verbunden war notwendi
gerweise die Mündlichkeit des Verfahrens und die
Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, ebenso die
öffentliche Verhandlung und die freie richterliche
Beweiswürdigung. Eine Erkenntnis aus der Ge
schichte ist, dass zu einem demokratischen Rechts
staat eine wirkungsvolle Laienbeteiligung an der
Gerichtsbarkeit gehört.
Historische Gründe allein können das Laienrich
tertum nicht rechtfertigen. Die Geschichte verdeut
licht jedoch, dass die Laiengerichtsbarkeit unter
grossen Mühen erkämpft wurde. Historisch gesehen
ist die Strafjustiz nie ganz ohne Laienbeteiligung
ausgekommen. Selbst in Zeiten des Inquisitionspro
zesses blieb sie in Spuren erhalten. Die Geschichte
belegt auch die bei reinen Juristengerichten beste
hende Gefahr, dass ein Volk einer seiner ureigensten
Angelegenheiten entfremdet wird und so im Laufe
der Zeit ein Stück Freiheit verliert. Die Gefahr zeigte
sich besonders deutlich, wenn Richter als Staatsbe
amte von der Regierung abhängig waren, wie bei
spielsweise zur Zeit des Absolutismus. Auch wenn
die Unabhängigkeit der Richter heute verfassungs
rechtlich garantiert ist, so zählt dieses Argument,
historisch gesehen, zur wichtigsten Rechtfertigung,
Laien zur Rechtsprechung heranzuziehen.
In ihrer heutigen Form stellt die Laienrichterbe
teiligung eine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts
dar. Sie lässt sich als Teil von umfassenden gesell
schaftspolitischen und staatsrechtlichen Forderun
gen ohne weiteres in die Reihe der demokratischen
Bestrebungen und Erfolge, wie Erringung der Ge
waltenteilung, Volkssouveränität und Meinungs
und Pressefreiheit, einordnen. Die Mitwirkung von
Laien an der Rechtspflege ist Teil einer bedeutenden
Rechtstradition und zählt zu den Grundlagen demo
kratischen Denkens. Diese Errungenschaft sollte
deshalb grundsätzlich nicht in Frage gestellt wer
den.