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Würdigung und Ausblick
aus historischer Sicht
Verfassungsrevision von 2003
Die Verfassungsrevision von 2003 und die folgende
Reorganisation des Gerichtswesens dessen den Be
stand an Gerichten und insbesondere die Art und
das Mass der Laienvertretung in ihnen im Wesentli
chen unverändert. Für den neu gebildeten Verwal
tungsgerichtshof, den Staatsgerichtshof und den
Obersten Gerichtshof wurde eine Mehrheit von
rechtskundigen Richtern zwingend vorgeschrieben.
Neu wurde für alle Richter ein einheitliches Bestel
lungsverfahren eingeführt. Die Richter werden vom
Landesfürsten ernannt, nachdem sie mit dessen Zu
stimmung dem Landtag zur Wahl empfohlen, gege
benenfalls in einer Volkswahl bestimmt worden
sind. In diesem Bestellungsvorgang findet der in der
Verfassung begründete Dualismus der in Fürst und
Volk verankerten Staatsgewalt und Souveränität auf
andere Weise Ausdruck. Er zeigt sich auch in der
Aussage, wonach die gesamte Gerichtsbarkeit «im
Namen des Fürsten und des Volkes» ausgeübt wird.
Das neue Auswahl- und Bestellungsverfahren been
dete zudem die 1881 einsetzende besondere
Rechtstradition der Bestellung der Laienrichter in
Schöffen- und Kriminalgericht allein durch den
Landtag. Die Laienbeteiligung an der Gerichtsbar
keit wurde weder bei der Verfassungsrevision noch
bei der Folgegesetzgebung grundsätzlich näher un
tersucht oder in irgendeiner Weise in Frage gestellt.
GRÜNDE FÜR DIE HEUTIGE LÖSUNG
In der Geschichte des Laienrichtertums in Liechten
stein können im Wesentlichen die Gründe für die
heutige Lösung der Laienbeteiligung in der Ge
richtsbarkeit erkannt werden. Die geltenden Rege
lungen wurzeln einerseits in der Übernahme von
Entwicklungen im Ausland, andererseits in Beson
derheiten der liechtensteinischen Verfassungsge
schichte.
ÜBERNAHME VON NORMEN UND ORGANI
SATIONSFORMEN AUS DEM MITTELEURO
PÄISCHEN RECHTSKREIS
Ein Hauptgrund für die gegenwärtige Lösung der
Laienbeteiligung an der Rechtsprechung in Liech
tenstein liegt in der Übernahme von Normen und
Organisationsformen, die sich in den Territorien des
mitteleuropäischen Rechtskreises herausgebildet
haben, zu dem auch das heutige Fürstentum Liech
tenstein gehört. Die Gerichtsorganisation in unserer
Region war über ein Jahrtausend insbesondere ge
prägt durch den Gang der Verhältnisse im Alten
Deutschen Reich, später wesentlich durch die Re
zeption österreichischen Rechts und seit dem 20.
Jahrhundert auch durch Anlehnung an schweizeri
sche Vorbilder bei der Ausgestaltung der Verfas
sung.
Die Laienbeteiligung war das Ergebnis der Auf
klärung. Sie forderte die Abschaffung des Inquisiti
onsprozesses und die Einführung eines Verfahrens,
das die Persönlichkeit des Beschuldigten achtete
und ihn zum Subjekt des Verfahrens machte. Eine
weitere Forderung der Aufklärung war der Gedan
ke, dass das Volk auch an der Rechtsprechung aktiv
teilhaben sollte. Die Quelle des Rechts und des Staa
tes wurde nicht mehr im Herrscher, sondern im
Volkswillen gesehen. Auch dieser Gedanke führte
dazu, das Volk durch Bürger als Laienrichter an der
Rechtsprechung zu beteiligen und diese demokra
tisch zu legitimieren.
Die Laienbeteiligung sollte helfen, die eingeführte
Gewaltenteilung zu sichern, indem die Unabhängig