GESCHICHTE DES LAIENRICHTERTUMS IN
LIECHTENSTEIN / ALOIS OSPELT
99
element auf die Qualität der juristischen Arbeit aus
wirkt; ob und wie weit die Idealvorstellung, dass Be
rufs- und Laienrichter als zwei gleichberechtigte,
sich ergänzende Beteiligte einen gemeinsamen Bei
trag für eine funktionsfähige Justiz leisten, der Rea
lität entspricht.
Alice Sadoghi 304 305 306
Die Rechtspsychologie geht davon aus, dass Alter,
Geschlecht, Beruf, soziale Stellung, Nationalität und
politische Einstellung der Richter Einfluss auf das
Urteil haben. Aus Untersuchungen zur Psychologie
der Strafverfahren ergibt sich, dass sämtliche aus-
serrechtlichen Faktoren der Beeinflussbarkeit von
Laienrichtern in ihrer Urteilsfindung auf Berufs
richter in ebenso starker Ausprägung zutreffen. Die
Untersuchungen bieten keine Grundlage dafür, den
Geschworenen mangelnde Entscheidungskompe
tenz zu attestieren. Die Psychologie des Strafverfah
rens und Tendenzen in der Urteilsfindung betreffen
Laien und Berufsrichter grundsätzlich gleichermas-
sen. Die Be weis Würdigung kann von Berufs- und
Laienrichtern gleichermassen wahrgenommen
werden, da es sich bei ihr um eine Fähigkeit han
delt, die nicht im juristischen Studium erworben
wird, sondern ein gedanklich-logisches Beurteilen
des jeweiligen Entscheidungsträgers nach dessen
Erkenntnishorizont verlangt. Berufsrichter können
deshalb diese Tätigkeit grundsätzlich nicht qualita
tiv besser ausführen als Laien.
Friederike Charlotte Grube 307
Die Laienbeteiligung im Strafverfahren zählt zu den
Grundlagen demokratischen Denkens. Allerdings
können reine Volksgerichte dann nicht mehr den
Anforderungen der Praxis genügen, wenn das
Rechtswesen ein wissenschaftlich-fachliches Ni
veau erreicht hat, das von Richtern, Staats- und
Rechtsanwälten eine zeitaufwendige und gründli
che Ausbildung verlangt. Der Laienrichter allein
kann deshalb niemals in dem Sinne Recht sprechen
wie der juristisch geschulte Richter. Allerdings er
scheint es notwendig und sinnvoll, die Alleinverant
wortung der Fachjuristen in Strafsachen auf eine
Mitverantwortung zu reduzieren. Bei reinen Juris
tengerichten besteht die Gefahr, dass ein Volk einer
seiner ureigensten Angelegenheiten entfremdet
wird und so im Laufe der Zeit ein Stück Freiheit ver
liert.
Beate Linkenheil 308
Die modernen Argumente für die Laienbeteiligung
an der Strafrechtspflege lassen sich herkömmlich in
drei Kategorien einteilen: das Demokratieprinzip,
die Qualitätsverbesserung der Rechtsprechung und
die volkspädagogische Wirkung. Demgegenüber
werden Sinn und Funktion der Laienrichter im
Strafprozess der Gegenwart angesichts der etablier
ten verfassungs- und verfahrensrechtlichen Garan
tien dezidiert in Frage gestellt. Die Beteiligung von
Laien an der modernen Strafrechtspflege wird für
verzichtbar erachtet. Insgesamt ist die Haltung der
eingesehenen Literatur allerdings «eher wohlwol
lend-kritischer Natur». Als Fazit bleibt festzuhalten,
dass die Laienbeteiligung ihre Daseinsberechtigung
aus dem «menschlichen Gerechtigkeitsempfinden»
erfährt. Die Laienmitwirkung beugt heute vor allem
einer Entfremdung des materiellen Strafrechts vom
Horizont der Gesellschaft und einer «Fremdhal
tung» der Gesellschaft gegenüber dem Recht vor. Sie
ist daher kein unzeitgemässes «Relikt des bürgerli
chen Emanzipationsprozesses», sondern «Legiti
mation einer Rechtsprechung <Im Namen des Vol
kes).»
304) Die Auswahl für die allgemeine Entwicklung beschränkt sich
auf Angehrn; Sadoghi; Grube: Linkenheil; Spona; Benz, diejenige für
Liechtenstein auf Tömördy, Kohlegger und Bizozzero. - Entspre
chende Aussagen finden sich auch in: Laienrichter im Strafprozess;
Schöffen und Geschworene; Laienrichter; Ehrenamtliche Richter. Es
sind dort jedoch keine Argumente aufgeführt, die nicht schon in der
Auswahl enthalten sind.
305) Vgl. dazu Angehrn.
306) Vgl. dazu Sadoghi, S. 27, 33, 35 f., 362-367.
307) Grube, S. 259.
308) Linkenheil, S. 202.