LIECHTENSTEIN IN ALTEN SCHILDERUNGEN NORBERT W. HASLER Träumereien im Halbdunkel der Schlossstube von selbst sich ein, und ein Vaduzer wird da oben kre- denzt, wie man ihn im ganzen Ländchen nirgends besser trinkt. Hart am Fusse des Schlosses Guten- berg bei Klein-Mels hat der regierende Fürst zum Andenken an sein fünfzigjähriges Regierungsjubilä- um vor etwa 15 Jahren eine gewaltige «Fürst Johan- nes-Jubiläumskirche» erbauen lassen. In keiner Be- ziehung ist etwas gegen dieses schöne Gotteshaus einzuwenden - nur sollte es an einem andern Platze stehen; denn Kirche und Schloss, so nahe aneinan- der, stören sich gegenseitig in ihrer architektoni- schen Wirkung. Nun noch kurz ein paar Worte über die liechten- steinischen Dörfer. Da wäre einmal das hochgelege- ne Triesenberg am Westabhang des Kulm, eine Stunde oberhalb Vaduz gelegen. Diese Gemeinde wurde im 13. Jahrhundert durch eingewanderte Oberwalliser gegründet. Noch heute unterscheiden sich die etwa 1300 Einwohner durch ihre wohlbe- wahrte Walliser Mundart ganz deutlich von den üb- rigen Liechtensteinern, die einen alemannischen Dialekt reden, der kaum stark von dem in Maienfeld oder Chur gesprochenen abweicht. Balzers, die stattliche Ortschaft, liegt an der wichtigen Stelle, wo die vom Bodensee rechtsrheinisch das Land herauf- führende Strasse das Fürstentum Liechtenstein ver- lässt und in den Kanton Graubünden eintritt. In schöner Berg- und Waldeinsamkeit bewacht diesen Übergang die schweizerische Grenzfeste Luzien- steig. In Triesen kann man sich weidlich ärgern über ein kahles, unschönes Fabrikgebäude an der Strasse, das gerade dicht hinter eine schöne, alte Kirche gestellt worden ist und diese nun schändlich totschlägt. Das grosse Dorf Schaan mit seiner neu- en, schlankgetürmten Kirche liegt ein halbes Stünd- chen nördlich von Vaduz. Es gehört noch zum Ober- land, gleich dem unweit von ihm am aussichtsrei- chen Hange der Drei Schwestern-Gruppe lagernden Bergdörflein Planken, dessen freundliche, heimelige Holzhäuser ihren flammenden Blumenschmuck weit ins Land hinausleuchten lassen. Das Wahrzei- chen und Kleinod des Unterlandes ist der Eschner- berg, der an unsere Jurahöhen erinnert. Ihn schmü- cken dunkle Tannenwälder und wohlbestellte,
fruchtbare Fluren. Von allen Seiten schauen in erns- ter Pracht die hohen Berge auf ihn hernieder. Wäh- rend die beiden dem Eschnerberg auf kurze Entfer- nung gegenüberliegenden Dörfer Schaanwald und Nendeln noch ganz im düstern Schatten des Rätikon liegen, ist er hell, lieblich und mild. Gleich freundlich blicken auch die Dörfer Eschen und Mauren an sei- nem südlichen Fusse dich an. Weit auf des Eschner- berges stillen Wiesengründen oben liegt friedlich und adrett Schellenberg, zerstreut in mehrere Wei- ler. Von hier aus führt ein anmutiges Waldsträss- chen nach Ruggell hinunter, das ganz nahe am Rhein liegt. Landaufwärts gelangen wir, dem Rhein entlang wandernd, auf das Gebiet der Gemeinde Gamprin, zu dem auch Bendern gehört, dessen ural- te Kirche hoch über dem Rheinstrom liegt. Damit wäre unsere Wanderung durch die Dörfer Liechten- steins beendigt. Jetzt heisst es aber noch: den Berg- stock und Rucksack zur Hand und auf in die Berge, diese Hochaltäre des schönen Ländlis, die es treu bewachen. Von einer Liechtensteiner Alpenwande- rung hat man sicherlich den grössten Genuss an ei- nem Sommertag, wenn drückende Schwüle über dem Rheintal liegt. Da überkommt einen so recht das Gefühl der Erleichterung und Befreiung schon bei dem ersten Bergweiler Rotenboden, nur etwas über 500 Meter höher als Vaduz gelegen. Hier steht ein einfacher, aber sauberer Holzbau, die tiefstgele- gene Ferienunterkunft des Landes: das Kurhaus Sa- mina, von wo aus die Bergstrasse nach Masescha, einer kleinen Hochebene hinaufführt, übersät mit Alphütten. Das Kurhaus bietet gute Unterkunft. Ein uraltes Kapellchen, dem Walliser Stammesheiligen Theodul geweiht, fällt durch seine sonderbaren For- men auf. Mitten ins saftige Alpengrün hingebaut er- hebt sich behäbig und wohlig das Kurhaus Gaflei, hinter welchem der Fürstensteig - das Pendant zum Lysengratweg vom Säntis zum Altmann - beginnt, ein in den 1890er Jahren von dem jetzt noch regie- renden Fürsten erstellter Alpenweg, der, kühn in die wild zerklüfteten Felswände des Gipsberges einge- sprengt, zunächst auf den Gafleigrat und dann hi- nunter ins Vorarlbergische führt. Kaum wird in un- serm Hochland ein schönerer Spazierweg zu finden sein, als der von Gaflei über Kurhaus Silum nach 305