binger Volkskundler Gottfried Korff beobachtete.7 Damit kamen völlig neue Sammelaufgaben auf die historischen Museen zu, denen die meisten auch mit grosser Freude nachgingen. Heute stehen wir in vielen Museen vor dem Er- gebnis dieser Sammelleidenschaft der letzten 200 Jahre: Heterogene Sammlungen, die oft unzurei- chend aufgearbeitet sind. Wir sind in unseren De- pots mit vielen Objekten konfrontiert, deren Ge- schichten oft fehlen und nur mühevoll rekonstruiert werden können. Die Aufarbeitung einer Sammlung kostet ungemein viel Zeit und damit auch entspre- chend Geld. Andererseits ist eine nicht aufgearbeite- te Sammlung totes Kapital. Die professionelle Er- schliessung einer Sammlung ist das Rückgrat der Institution Museum, es ist der Mörtel mit dem wir Ausstellungen bauen und das Mehl mit dem wir un- sere museumspädagogischen Brötchen backen. Mit dem Blick in die Zukunft der Institution Museum müssen sich alle Museumsleute fragen: Wie sam- meln wir in Zukunft? Denn was wir heute als samm- lungswürdig betrachten, wird in einigen Jahrzehn- ten die Geschichte, das kulturelle Gedächtnis sein. Wir müssen uns fragen: Wessen Gedächtnis wird es sein? Dabei müssen wir aber nicht nur nach der Quali- tät und Aussagekraft fragen, sondern auch nach der Quantität: Wie viele Objekte können wir annehmen und tatsächlich bearbeiten? Was nehmen wir an und was nicht? Und gibt es Dinge in unserer Samm- lung, die ein anderes Museum besser nutzen könn- te? Die Frage der Sammlungskonzeption und die Abstimmung der Sammlungsstrategien der Museen untereinander ist ein Bereich in dem noch viel getan werden kann. Auch die Deakzession, also das über- legte Entfernen von Objekten aus der Sammlung, wird erst seit kurzem diskutiert. Jenseits des Plädoyers für ein Sammeln mit Au- genmass und Konzept stellt sich - meist von aussen an die Museen herangetragen - die Frage: Ist das Sammeln die wichtigste Aufgabe, hat es die höchste Priorität im Kanon der vielen Aufgaben eines Muse- ums? Oder sind es nicht vielmehr die öffentlichkeits- wirksamen Ausstellungen, die Priorität haben soll- ten? Viele Museen werden zwischen den Anforde-rungen
des Sammeins und des Präsentierens gera- dezu zerrieben. Jede Institution muss sich hier klare Prioritäten setzen, die wohl überlegt und nachhaltig wirksam sind. Die Frage der Sammlung - wessen Geschichte sammeln wir, wessen Geschichte sammeln wir nicht - bringt mich in Anlehnung an die Themen der Dau- erausstellung des Landesmuseums zum zweiten Stichwort,
zum Herrschen: Das Museum ist eine In- stitution, die auswählt und interpretiert. Museen ta- ten und tun dies ebenso wie die Geschichtsschrei- bung insgesamt. Dabei sind die Stichworte <race>, <class> und <gender> erst seit relativ kurzer Zeit Kate- gorien, die auch im Museum diskutiert werden. Mu- seen und gerade Geschichtsmuseen waren lange Zeit der Affirmation des Bestehenden verpflichtet. Das Ziel der Landes- und Nationalmuseen war es meist, Nationalbewusstsein zu fördern und Natio- nalstolz zu schaffen. So initiierte zum Beispiel Hans Freiherr von und zu Aufsess 1852 das Germanische Nationalmuseum zur Repräsentation des germani- schen, also des deutschsprachigen Kulturraums.8 Hintergrund für die Museumsgründung war der ge- scheiterte politische Einigungsprozess der deut- schen Staaten von 1848. Heute wird das Konzept der nationalen Identität differenzierter betrachtet, was im Leitbild des Lan- desmuseums ja sehr deutlich zum Ausdruck kommt. Museen sind heute nicht mehr Orte, die eindeutige Antworten geben, sondern vielmehr Orte des Dia- logs und des Diskurses. Meinen Beitrag im Eröff- nungskatalog des Landesmuseums aus dem Jahr 2003 hatte ich mit einem Zitat Walter Benjamins überschrieben: «Nicht gelehrter sollen [die Besu- cher] die Ausstellung verlassen, sondern gewitzter». Dieser oft zitierte Satz aus dem Passagenwerk sollte meines Erachtens noch immer handlungsleitend für Museen sein.'' Aber: wie wird man gewitzter? Witz steht für Erfahrungswissen und Kreativität und die Fähigkeit, neue Fragen zu stellen. Letzteres scheint von besonderer Bedeutung für Museen zu sein, denn gerade Museumsobjekte stellen oft mehr Fra- gen als dass sie Antworten geben können. Museen können sich nicht mehr auf die Authentizität von Objekten berufen, auch wenn ihre Autorität vom Pu- 292