Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2009) (108)

DAS KRIEGSENDE 1918 IN LIECHTENSTEIN UND SEINE AUSWIRKUNGEN / RUPERT QUADERER Prinz Karls mit den Landtagsvertretern in Vaduz statt. Das Ergebnis dieser Gespräche war das 9- Punkte-Programm vom 10. Dezember 1918.5 Das 9-Punkte-Programm enthielt wesentliche Zu- geständnisse im Hinbück auf die Ausweitung der Volksrechte. Zentrales Anliegen war eine «nationale Regierung», das heisst die Mitglieder der Regierung sollten liechtensteinische Staatsangehörige sein. Zu- dem sollte eine «parlamentarische Regierung» ein- geführt werden. Das bedeutete, dass der Landtag bei der Bestellung der Regierung ein Mitsprache- recht haben sollte und die Regierung auch dem Par- lament verantwortlich sein sollte. Als weitere wich- tige Änderung ist die Erhöhung der Zahl der vom Volk gewählten Landtagsabgeordneten zu nennen. Dadurch sollte deren Einfluss erhöht und entspre- chend derjenige der vom Fürsten ernannten Land- tagsmitglieder zurückgedrängt werden. Die Verle- gung sämtlicher politischer und gerichtlicher In- stanzen nach Liechtenstein zielte gegen die Ein- flussnahme ausländischer Gerichtsinstanzen in Liechtenstein und richtete sich vor allem gegen die Einmischung der unbeliebten fürstlich-liechtenstei- nischen Hofkanzlei in Wien. Das 9-Punkte-Pro- gramm enthielt bereits die wesentlichen Punkte der späteren Verfassungsdiskussion und bereitete somit den Boden für weitere Verhandlungen vor. Fürst Johann II. erteilte den Landtagsbeschlüs- sen vom 10. Dezember «hinsichtlich der Neurege- lung der Landesangelegenheiten» am 13. Dezember seine Zustimmung. Mit gleichem Datum bestellte Fürst Johann II. ge- mäss dem vom Landtag geäusserten Wunsch seinen Neffen Prinz Karl «bis auf Weiteres» zum Landes- verweser.6 Am 22. Dezember legte dieser vor dem vom Fürsten damit beauftragten Leopold von Imhof den Eid als Landesverweser ab.7 Dieser Vorgang kann wohl als Hinweis interpretiert werden, dass Fürst Johann II. den Rücktritt Imhofs nicht akzep- tiert hatte und diesen immer noch als amtierenden Landesverweser behandelte. Mit der Bestellung des neuen Landesverwesers durch den Fürsten war der Vorgang vom 7. Novem- ber 1918 wirkungslos geworden. Der provisorische Vollziehungsausschuss war seiner Funktion entho-ben. 
Eine offizielle Rücktrittserklärung fand nicht statt. Martin Ritter kehrte nach Innsbruck zurück, Wilhelm Beck wirkte weiterhin als Landtagsabge- ordneter. Die fürstlichen Abgeordneten waren wie- der in Amt und Würde. KRIEGSHEIMKEHRER AUF ZWISCHENSTATION IN LIECHTENSTEIN Zu der an sich schon aufgewühlten Situation in Liechtenstein am Ende des Krieges kamen im No- vember 1918 noch Meldungen, dass «ausweislose Menschen in unser Land hereinschleichen» wür- den.8 So wurden am 3. November abends von der Schweizer Grenzwache auf der Eisenbahnbrücke Schaan-Buchs acht österreichische Soldaten «aus- wagoniert» und nach Liechtenstein zurückgewie- sen.9 Die österreichische Finanzwache schickte die- se Soldaten von der Bahnstation Schaan-Vaduz mit- tels Lastzug nach Feldkirch zurück. 1) Die Vorgänge vom 7. November 1918 werden hier nur knapp behandelt. Für nähere Informationen siehe Rupert Quaderer: Der 7. November 1918 Staatsstreich - Putsch - Revolution oder politi- sches Spektakel im Kleinstaat Liechtenstein? In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein, Band 93. Vaduz. 1995, S. 187-216. 2) LVolksblatt Nr. 46/15. November 1918. Ein Protokoll dieser Landtagssitzung existiert nicht. Die folgende Darstellung des Ablau- fes der Landtagssitzung stützt sich auf den Bericht des «Liechtenstei- ner Volksblattes». 3) LLA SF 1.8/1918/39, 13. Dezember 1918; Kundmachung. LLA RE 1918/5491 ad 4851, 13. Dezember 1918; Fürst an Landtag. 4) LVolksblatt, Nr. 50/13. Dezember 1918. 5) Publiziert in Rupert Quaderer; Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion von 1921. In: LPS 21. Vaduz, 1994, S. 115- 116. 6) LLA SF 1.8/1918/39, 13. Dezember 1918; Kundmachung. LLA RE 1918/5491 ad 4851, 13. Dezember 1918; Fürst an Landtag. 7) LLA SF 1.8/1918/41, 22. Dezember 1918; Protokoll der Vereidi- gung. 8) LLA RE 1918/4843. 6. November 1918; Landweibei Walser an Regierung. 9) LLA RE 1918/5161 ad 4843, 29. November 1918; Finanzwach- Kontroll-Bezirksleitung Vaduz an liechtensteinische Regierung. 19
	        

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