Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2009) (108)

auf das ganze Land ausbreitete und rund 25 000 Er- werbende erfasste».25 Das Oltener Aktionskomitee veröffentlichte ein Neun-Punkte-Programm mit Forderungen als Vo- raussetzung für eine Beendigung des Streiks. Ange- sichts drohender blutiger Zusammenstösse und ge- gen heftigen Widerstand der radikalen Kräfte in den grossen Städten wichen die Streikführer aber zu- rück und setzten nach drei Tagen den bedingungslo- sen Streikabbruch durch.26 «Die unorganisierte Mehrheit, namentlich die ländliche Industriearbeiterschaft... sowie die orga- nisierte katholische Arbeiterschaft waren passiv ge- blieben oder verhielten sich offen feindselig».27 Ver- schärfend kam noch hinzu, dass die grosse Zahl von Opfern der Grippe-Epidemie unter den aufgebote- nen Truppen von bürgerlicher Seite den Streiken- den angelastet wurde. Das Land blieb tief gespalten. Das Bürgertum war bis weit in die 1930er Jahre zu keinen sozialen Zu- geständnissen bereit. Die Arbeiterbewegung blieb politisch isoliert. DIE AUSGANGSLAGE IN DEN BEIDEN BEZIRKEN Die Erwerbsstruktur mit einem Anteil von etwas über 40 Prozent Industriearbeitern (davon 50 Pro- zent Sticker im Werdenberg und etwa 40 Prozent Arbeiter in der Baumwollindustrie im Sarganser- land)28 könnte erwarten lassen, dass der Ausbruch des Generalstreiks am 12. November 1918 einen grossen Widerhall unter der Arbeiterschaft gefun- den hätte. Dem war aber nicht so. Die Industriearbeiterschaft im Sarganserland war kaum organisiert, höchstens noch christlich-so- zial. Im Werdenberg empfanden sich die vielen Handsticker nicht als Arbeiter, sondern als selbstän- dige Unternehmer. Viele Werktätige in beiden Bezir- ken waren tief im kleinbäuerlichen Milieu verhaftet und betätigten sich nebenbei noch als Kleinstbau- ern. Deshalb war die Grundhaltung in der Arbeiter- schaft beider Bezirke stark bäuerlich-bürgerlich ge- prägt. Aus diesen Kreisen beteiligte sich niemand 
am Generalstreik. Gestreikt wurde ausschliesslich von den einzigen gut organisierten Lohnabhängigen in der Gegend, den Eisenbahnern. In Sargans und Buchs befanden sich seit der Ent- stehung des schweizerischen Eisenbahnnetzes wichtige Bahnhöfe mit grossem Personalbestand. Dieses Personal war recht gut organisiert im VSEA (Verband Schweizerischer Eisenbahnangestellter) und seinen Unterverbänden. Der Generalstreik führte auch im Kanton St. Gal- len zu einer Zerreissprobe innerhalb des Eisenbah- nerverbandes. Am Vortag des Streiks, am 11. No- vember, beschloss die Vertrauensleuteversammlung des Stationspersonals des VSEA des Bundesbahn- kreises IV in St. Gallen, den Generalstreik abzuleh- nen und teilte dies auch dem Zentralvorstand in Bern mit. Im Gegensatz zum Stationspersonal un- terstützte aber die Leitung der Maschinen- und Zugspersonalverbände den Generalstreik. Die orga- nisierten Eisenbahner waren damit gespalten. Der Streik wurde nur vom Fahrpersonal (Maschinisten und Zugführer) getragen.29 Am 11. November unter- stellte der Bundesrat zudem das Bundespersonal, wozu auch die Eisenbahner zählten, der Militärge- setzgebung.30 Das verschärfte die Situation für die Streikenden noch. DER STREIK IN BUCHS Am 12. November berichteten Vertrauensmänner des Stationspersonals ihren etwa 80 Kollegen des VSEA in Buchs über den Beschluss des Vortages in St. Gallen. Die Ablehnung des Streiks stiess auf gros- se Zustimmung. Kreispräsident Oettli und die Mehr- heit der Versammelten lehnten aber einen Antrag ab, eine Protestversammlung gegen den Streik ein- zuberufen. Es wurde auch bekanntgegeben, dass der Vorstand des Stationspersonalverbandes be- schlossen hatte, keine Streikbrecherdienste zu leis- ten.31 Man wollte den streikenden Kollegen wenigs- tens nicht in den Rücken fallen. In Buchs fuhr am ersten Streiktag, dem 12. No- vember, noch ein Zug mit Fleizer und Zugführer nach Sargans, musste dort aber wieder umkehren, 98
	        

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