Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2008) (107)

wegs. Ausserhalb der Ortschaften tragen die meis- ten Frauen keine Schuhe und keine Beinkleider. Die Männer hingegen, sowohl Vermögende wie auch Mittellose, verlangen nach soliden Schuhen mit gro- ben Nägeln. Durch das landschaftliche Dreieck, gebildet durch Schaan, Nendeln und Bendern, fliessen Drainageka- näle, die in die Torferde gegraben wurden, mit Torf- ziegeln, die zum Trocken auf Fassdauben festgena- gelt wurden, bevor sie in primitiven Hütten gelagert werden. Wild-bezahnte Fliegen schwirren herum in der Nachbarschaft. Es ist ein Privileg, hier ein Mann zu sein; denn die Männer tragen Wollsocken, welche die Füsse vor diesen gierigen Plaggeistern etwas zu schützen vermögen. Wie halten die barfüssigen Frauen und Kinder das nur aus? Wie auch im Gebirge, so ist auch hier das Heu von einer rauen, unsteten Qualität, die den süss duften- den Klee ebenso wie Getreidepflanzen beinhaltet. Mit Ausnahme von Steilhängen ist es üblich, das ge- schnittene Heu über hohen Holzpfosten zum Trock- nen zu legen, wobei diese Holzpfosten über drei Kreuzbalken miteinander verbunden sind. Es fällt hier häufig Regen und folglich sind diese Holzträger unentbehrlich zum Heu Trocknen. Das Ausmass des geschnittenen Heus hängt von der An- zahl der verfügbaren Holzträger und Helfer ab. An den steilen Berghängen wird das Heu vollständig zusammen getragen, so dass während der Heuernte lange Streifen von abwechselnd geschnittenen und ungeschnittenen Heufeldern die vornüber kippen- den Berghänge zieren. Das schaut dann aus wie ver- tikale Streifen in zwei verschiedenen Grüntönen, und die Breite des Streifens weist auf die Anzahl der arbeitenden Bauernhände oder auf die Wetterbe- dingungen hin. In Vaduz ist das Wochenende wie Ferienzeit. Am Samstagabend wird jeweils der wöchentliche Film in der Bierhalle des Hotels gezeigt. Nicht sehr viele Menschen waren hier, und man erzählte mir, dass dies normal sei. Der Liechtensteiner trinkt sein Bier lieber in einem hellen Raum. Im gleichen Ausmass, wie in der dunklen Bierhal- le Gleichgültigkeit gegenüber dem trüben Silber- band des Films gezeigt wurde, zeigten die Menschen 
im Gasthaus Euphorie. Der Männergesangsverein stimmte ein Lied an. Der Einfluss der Musik auf wil- de LIerzen ist bekannt, doch die Fähigkeit eines schwungvollen Liedes, unbedeutende Menschen in einen beeindruckenden Chor zu verwandeln, ist be- merkenswert. Auf dem Weg in die Berge überholte ich am darauf folgenden Morgen drei Damen, deren Gesamtalter wohl dem der Vereinigten Staaten von Amerika ent- sprach. Trotz Rucksäcken und schweren Bergschu- hen genossen sie den Weg und die Gemeinschaft. «Sie müssen den Fürstensteig erklimmen», sagte die Frau mit den weissesten Haaren. «Es ist kein schwieriger Weg und er ist wunderschön.» Aber Wolken kamen von Gaflei herunter. Da es mein Ziel war, Fotos zu machen, kehrte ich nach Va- duz zurück, um die Freilichtaufführung beim Schloss zu sehen. Die Handlung war zwar schwer verständlich, doch ich sah sehr gutes Schauspiel. Ein Mädchen aus Vaduz spielte eine charmante Hel- din, Bauernknaben trugen nicht ungeschickt gefie- derte Hüte nach der Art mittelalterlicher Ritter. ABENDLICHE SOLOSTÜCKE AUF DEM ALPHORN Nach Einbruch der Dunkelheit folgten Vorführun- gen des Männerchors und Solostücke auf dem Alp- horn. Das Alphorn ist wie eine riesige Tonpfeife mit einem dicken Stiel, deren Töne jedoch sanfter ertön- ten als man es von so einem schwerfälligen Instru- ment erwarten würde. Von der beleuchteten, aus farblosen Brettern zusammengebauten Bühne hin- weg erstreckten sich die Tische bis weit ins Dunkel, wo die Leute tranken und schwatzten, bis der Stab des Dirigenten dem Treiben Einhalt gebot. Man musste nur die Augen schliessen und hinhö- ren, so dass von selbst die Musiker an Statur gewan- nen, die Haltung würdevoll wurde und die Unifor- men der Musikanten umso stilvoller wirkten. Mein Aufenthalt in Liechtenstein neigte sich dem Ende entgegen. Sofern das Wetter in den Bergen be- wölkt blieb, war meine Abreise auf Morgen geplant; bei einem klaren Morgen aber würde ich noch eine letzte glorreiche Wanderung machen. 232
	        

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