REZENSIONEN / «WO DEIN HIMMEL, IST DEIN VADUTZ» DIE RÜCKKEHR DES «HOCHFÜRSTLICHEN MÖHRS» Im 20. Jahrhundert entdeckten drei weitere Schrift- steller den bereits erwähnten «Hochfürstlichen Mohr» Angelo Soliman. Nach dem Tod Solimans 1796 wurde dessen Leichnam auf Geheiss von Kaiser Franz ausgestopft- ein Faktum, das alle drei Autoren faszinierte. Während das von Fritz von Herzmanovs- ky-Orlando (1877-1954) 1935 verfasste
Drama Ex- zellenzen ausstopfen - ein Unfug vor allem phanta- stisch-groteske Elemente enthielt, schuf Conny Han- nes Meier (* 1931) in seinem
Theaterstück Angelo Soliman oder Die schwarze Bekanntschaft eine wahrheitsgetreuere Darstellung. Der von Fürst Josef Wenzel im Zorn entlassene Sklave Soliman bleibt sei- ner weisshäutigen Frau treu, das Paar gründet eine Familie. Fürst Franz Josef L, Neffe und Nachfolger von Josef Wenzel, versöhnte sich mit Soliman und be- sorgte ihm eine Hofmeisterstelle. Meier unterstrich in seinem 1984 in Wien uraufgeführten Stück den jähzornigen Charakter des Josef Wenzel von Liech- tenstein. Bereits Karolina Pichler hatte auf diesen Charakterzug des Monarchen verwiesen. Sehr frei und mit Betonung menschlicher Schattenseiten, be- arbeitete der Schriftsteller Ludwig Fels (* 1946) im Drama Soliman dieselbe Geschichte. Das Stück von Fels wurde 1991 in Bregenz uraufgeführt. PERSÖNLICHE ANSCHAUUNGEN VON LIECHTENSTEIN Ein umfangreiches Kapitel widmet Graham Martin den Schriftstellern und Chronisten, die im 19. und 20. Jahrhundert das Fürstentum persönlich besuchten und darüber berichteten. Es folgen, in chronologi- scher Reihenfolge, Gustav Schwab (1792-1850), Ludwig Steub (1812-1888), Jakob Christoph Heer (1859-1925), Hermann Hesse (1877-1962) und Her- mann Hiltbrunner (1893-1961). Im Herbst 1825 reiste Gustav Schwab nach Liech- tenstein. Er verarbeitete die gewonnenen Eindrücke in seinem 1827 publizierten
Werk Der Bodensee nebst dem Rheinthale von St. Luziensteig bis Rhein-egg,
berichtete darin auch über das «Ländchen Va- duz»: Die Bevölkerung lebe von Weinbau, Viehzucht, Holzhandel sowie Spinnereien. Die Frauen würden als Teil der Volkstracht eigentümliche rote Strümpfe tragen, und Vaduz hätte mit dem Schloss, dem Amts- haus, der Kapelle und dem Wirtshaus «Adler» die meisten Sehenswürdigkeiten. Im Gegensatz dazu nahm der aus Bayern stam- mende Ludwig Steub in Vaduz das Schloss als einzi- ges bemerkenswertes Gebäude wahr: «Die alten Mauern der Burg haben etwas Ungeheuerüches, sind dick und schwer; als wenn Cyclopen sie gebaut hät- ten. Auf diesen gewaltigen Urbau hat man in späte- ren Zeiten leichte Mäuerchen aufgesetzt, die gegen die Unterlage seltsam abstechen. Das Wirthshaus im Schloss gilt für einen Hort auserlesenen Landweins; in der Capelle sind etliche altdeutsche Gemälde» (S.136). Steub publizierte seine Beschreibungen 1846 im
Buch Drei Sommer im Tirol, das auch seine Reisenotizen zu Vorarlberg und Liechtenstein ent- hielt. 1873 besuchte Steub die Vaduzer Schlosswirt- schaft nochmals, zusammen mit Freunden. Diese stifteten der Schlosswirtschaft ein Gästebuch. Einen wichtigen Beitrag über Liechtenstein liefer- te 1906 der Ostschweizer Jakob Christoph Heer mit dem in Feldkirch erschienenen
Buch Vorarlberg und Liechtenstein. In den beiden Kapiteln «Vom Schel- lenberg zur Luziensteig» und «Die liechtensteinische Bergwelt» malt Heer ein lebendiges Bild des Fürsten- tums. Seine genauen Beschreibungen basieren of- fensichtlich auf eigener Bereisung des Landes. Zeich- nungen des Graubündner Künstlers Peter Balzer (1855-1916) runden die Publikation ab. Der seit 1904 in Gaienhofen am Bodensee leben- de Schriftsteller Hermann Hesse kam erstmals in Be- rührung mit Liechtenstein beim Trinken eines Vadu- zer Rotweins in Zürich. Zusammen mit einem Freund wanderte er dann 1906 nach Appenzell und Liech- tenstein. Hesse empfand eine bestimmte Empathie für Jean Pauls Romanfigur des Siebenkäs, für den «feinfühligen Mann, der seine kleinbürgerliche Frau als Fessel empfindet und eines Tages Heim und Gat- tin verlässt, um ein neues, freieres Leben zu begin- nen» (S. 156). Hesses
in seinem Bilderbuch 1926 pu- blizierter Reisebericht enthält auch die Schilderung 111