ZUM THEATERKONZERN DER ROTTER SOWIE ZUM SCHICKSAL FRITZ ROTTERS / PETER KAMBER Liste der von der «Gesellschaft der Funkfreunde» besuchten Aufführungen zu nehmen - die Operette mit dem fast flehentlichen Titel «Hundert Meter Glück» im Metropol-Theater und eine adaptierte Offenbach-Operette, «Liebling von Paris» im Les- sing-Theater, letztere ein künstlerischer Misser- folg.17 NEUE BELEGE AUS DEM BUNDES- ARCHIV BERLIN Heinz Hentschke, der mit der 1925 gegründeten «Ge- sellschaft der Funkfreunde» bis 1933 «sehr be- trächtliche Profite» machte,18 schien entschieden zu haben, seine ganze Macht auszuspielen und sich an 14) Wie August Hermann Zeiz im «Berliner Tageblatt» (Nr. 45. Frei- tag. 27. Januar 1933) sehrieb: «Die Einnahmen der Rotters verringer- ten sich durch dieses System in gefahrlicher Weise, denn Hen[t]schke hatte das Recht, so viele seiner Mitglieder in die Theater zu schicken, als er wollte. Er zahlte für die Karten, die er abnahm. 1,50 bis 6,50 Mark und gab sie seinen Mitgliedern mit einem Aufschlag von 1 Mark weiter. Nach den Angaben, die prominente Mitglieder des Rotter-Kon- zerns jetzt machen, hat die Gesellschaft der Funkfreunde den Rottor- Bühnen täglich rund tausend Karten abgenommen. Aus der Kaufsum- me dieser Karten wurden dann täglich 4000 bis 5000 Mark von Herrn Hcn[t]schke einbehalten als Amortisationsquote der Schulden, die die Rottors bei ihm haben. Für die Rotters war das ein doppeltes Verlust- geschäft, denn erstens fohlte ihnen ja die Amortisationsquote von 4000 bis 5000 Mark, die Hen[t]schke ihnen täglich abnahm, an den Einnahmen aus den Theatern, zweitens waren die Plätze, die sie bei einem so großen Erfolg wie es z.B. die Massary-Operette <Eine Frau, die weiß, was sie will) war, mit Theaterbesuchern besetzt hätten, die den regulären Kassenpreis bezahlten, von vornherein mit Mitgliedern der Gesellschaft der Funkfreunde besetzt. Aber was wollten sie ma- chen?» 15) «Ball im Savoy» (BDR 1955). Regie: Paul Martin, nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Alfred Grünwald und Fritz Löhner- Beda: Musik: Paul Abraham; u. a. mit Nadja Tiller. 16) Aufführungsdaten (mit herzlichem Dank an Herbert Michalzik vom Institut für Theaterwissenschaft an der FU Berlin): 23., 25.. 26. bis 31. Dezember 1932; im Januar und Februar 1933 jeden Tag; 1., 2.. 7. bis 31 März; 1. und 2. April 1933 (in den Boykott-Tagen wurde die Absetzung des Stücks erzwungen; Gitta Alpar war schon zuvor ersetzt worden). 17) «Berliner Tageblatt». Nr. 45. 27. Januar 1933; zu «100 Meter Glück» (Premiere 30. Dezember 1932) ist zu sagen, dass kurz zuvor, am 22. Dezember 1932, im Theater am Nollendorfplatz eine Auf- führung mit fast ähnlichem Titel «Zehn Minuten Glück» durchfiel: «Zwei Librettisten auf der Stoffsucbe. bis sie schließlich enttäuscht
von der Gegenwart, die sie doch porträtieren wollen, im josefini- schen Österreich landen.» («Vossische Zeitung», 23. Dezember 1932); über «Hundert Meter Glück», die Operette von Mischa Spoli- ansky (Regie; Robert Klein) schrieb die «Vossische Zeitung» (Nr. 2. 2. Januar 1933) eine gesamthalt gute Kritik: «Der Gattungsbegriff romantische Operette soll offenbar die Tatsache bemänteln, dass es sich nicht um eine Operette im landläufigen Sinne, sondern um ein phantastisch-romantisches Spiel mit Musik - nennen wir es so - handelt.» Regisseur und einer der drei Autoren war Robert Klein, doch auf dem Plakat war sein Name «ausgestrichen und überklebt»: «Die Öffentlichkeit hat von einem internen Konflikt läuten hören ...». Im Mittelpunkt der Handlung steht «ein armer Angestellter, der <filmverrückt> ist [gespielt von Max Hansen]. Er schläft am Anfang ein und wacht am Ende auf; zwischen Einschlafen und Aufwachen träumt er von einer Reise nach Hollywood, von einer bunten Film- kantine, in der er als Kellner fungiert, von seiner Verlobung mit der berühmten Filmdiva Julietta Romeo [Erika von Thellmannl, von Fes- ten und von Reisen mit ihr. von ihren Reizen, aber auch von ihrer Unausstehlichkeit. Kurz und gut: der Traum heilt ihn, und er schließt beglückt Lotte Bumko [gespielt von Baby Gray] in seine Arme, die hingebungsvoll um ihn gewor[b]en hatte ... als grotesk-arroganter Primo Uomo des Films Theo Fingen. Die lustige Gesamtausstattung hat der einfallsreiche und kapriziöse Benno von Aront entworfen. Die musikalische Leitung lag dem überaus geschickten Ernst Haucke ob. Das Publikum amüsierte sich und kargte nicht mit Beifall.» Die Operette «Der Liebling von Paris» (Premiere 25. Dezember 1932) wurde indessen auch in der liberalen, den Rotter wohlwollend ge- sinnten «Vossischen Zeitung» verrissen (27. Dezember 1932): ihr Kritiker Max Marschalk schrieb: « <Madame Favart>, die dreiaktige Operette von Jacques Offenbach, erschien am ersten Weihnachtsfei- ertago als <Der Liebling von Paris> im Lessing-Theater. ... Aber Bear- beitung hin, Bearbeitung her: ein totes Werk kann nur zu einem Scheinloben erweckt werden. Wir verlragen einen so simplen, auf Verkleidung und Verwechslung gestellten Schwank nicht mehr; und es scheint beinahe so, als ob ihn Offenbach auch nicht ganz vertra- gen habe; seine Phantasie hat sich an ihm nur halb entzündet. Dünn fließt die Musik dahin; in Momenten allerdings verrät sie Esprit, der dem Meister seinen Weltruf geschaffen hat. Warum nur ist das Werk nun hervorgeholt worden? ... In der ganzen, von einem dürftigen Or- chester gestützten Aufführung wehte etwas wie Provinzluft. Wenn das Werk, das doch einstmals seine Erfolge gehabt hat, uns nahe ge- bracht werden sollte, so hätte es mit dem künstlerischen Raffine- ment, an das unsere Zeit sich gewöhnt hat, aufgeführt werden müs- sen. Letzte Vollkommenheit in allem wäre hier - vielleicht - die Ret- tung gewesen. Das Publikum amüsierte sich trotzdem; aber nur zeit- weise. Die Stimmung war im Allgemeinen nicht einheitlich.» 18) Zusammenfassung eines Verhörs mit Heinz Hentschke vom 4. Januar 1946 durch die alliierten Behörden, Bundesarchiv Berlin. Berlin Documont Center, RK/D116, Nr. 2370, S. 1. 79