Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2007) (106)

Linie Hüterinnen des Heimes und die Seele der Fa- milie, sie waren hauptverantwortlich für die Erzie- hung der Kinder. Unter dem Einfluss des Zweiten Vatikanischen Konzils wurden sie nun jedoch nicht mehr als Untertaninnen des Mannes angesehen, sondern standen ihm «ergänzend» zur Seite. Neu war auch, dass die meisten berufstätigen Frauen nun bis zur Geburt ihres ersten Kindes weiter arbei- teten und nicht wie zuvor bereits bei der Heirat ihre Stelle kündigten. Zusätzlicher Verdienst war jetzt vielfach für den Bau eines Eigenheims, für Ferien und andere Konsumgüter wie für die Anschaffung eines Autos willkommen. Wie soll man nun diese Veränderungen gewichten? Aus meiner Sicht ist es angebracht, sie mit der Grös- se des Wandels, den Liechtenstein im gleichen Zeit- raum in der wirtschaftlichen Entwicklung genom- men hat, zu vergleichen. Dieser Vergleich zeigt im Ergebnis eine völlig disharmonische Entwicklung der beiden Bereiche: Liechtenstein vollzog in der Nachkriegszeit in rasantem Tempo den Übergang vom Agrarstaat zum Industrie- und Dienstleistungs- staat. Dieser Wandel musste, sollte die traditionell bürgerliche Gesellschaft in ihrem Bestand keinen Schaden nehmen, in ein neues System sozialer Si- cherheit eingebettet werden. So wurde anfangs der 1950er Jahre nach schweizerischem Vorbild eine Alters- und Hinterlassenversicherung, dann eine In- validenversicherung und eine Familienausgleichs- kasse eingerichtet. Um den besitzenden Mittelstand zu erhalten und um dafür zu sorgen, dass die Liech- tensteiner weiterhin in ihren eigenen Häusern wohnten, wurde die staatliche Eigentumsförderung eingeführt, indem man Eigenheime subventionier- te. Liechtenstein hat den durch den Übergang vom Agrar- zum Industrie- und Dienstleistungsstaat be- dingten sozialen Wandel ohne grössere soziale Um- schichtungen vollzogen. Dennoch ist das Liechten- stein von 1970 mit dem vom Jahre 1945 in wirt- schaftlicher Hinsicht nicht mehr vergleichbar. Der vollzogene Wandel ist tiefgreifend, sein Gelingen und seine allseitige Akzeptanz letztlich nicht selbst- verständlich. 
So gross der Wandel auf dieser Seite ist, so klein ist die Veränderung in Bezug auf die Stellung der Frau- en allgemein in der liechtensteinischen Gesell- schaftspolitik und in der Arbeitswelt im Besonde- ren. Die Einführung des Frauenstimmrechtes ist in dieser Zeit noch nicht einmal ein Thema. In der Zi- vilgesetzgebung gilt weiter das aus dem Jahre 1811 stammende Familien- und Eherecht, welches nach wie vor den Ehemann als alleiniges Oberhaupt der Familie vorsieht und welches nach wie vor nicht zu- lässt, dass eine Frau im Falle des Todes ihres Man- nes die Vormundschaft über ihre eigenen Kinder al- lein übernehmen kann. Will eine Frau berufstätig werden, darf sie das nur mit ausdrücklicher Zustim- mung des Ehemannes. Die Rolle der Frau war nach wie vor diejenige der Ehefrau und Mutter, die inner- halb der Familie wirken und sich aus der Politik und dem Wirtschaftsleben heraushalten soll. Was sind die Gründe für diese so einseitige und dis- harmonische Entwicklung in diesen beiden Berei- chen? Die Antwort ist wohl sehr vielschichtig und kann nicht allein aufgrund einer historischen Unter- suchung gegeben werden. Es wäre dies sicherlich ein dankbarer Gegenstand für eine Untersuchung aus soziologisch-psychologischer Sicht. Im Rahmen dieser Arbeit können jedoch Umstände genannt werden, die zu dieser ungleichen Entwicklung bei- getragen haben: In Liechtenstein gab es vor, wäh- rend und auch noch Jahre nach der Untersuchungs- zeit eine «Gemeinschaft» von politisch bestimmen- den Personen, die in ihrer Grundeinstellung zur Ge- sellschaftspolitik, zur Rolle der Frau in der Gesell- schaft und in Bezug auf die Treue zur katholischen Kirche weitgehendst übereinstimmten. Es waren dies die Mitglieder des Fürstenhauses, des Landta- ges und der Regierung. Keine politische Kraft, den- noch eine Institution mit immensem Einfluss, war der Staatsgerichtshof. Gemeinsam war diesen Insti- tutionen, dass sie reine Männer-Institutionen wa- ren, Frauen waren von jeglicher Mitwirkung ausge- schlossen. Gemeinsam war ihnen weiter, dass sie sich ganz selbstverständlich den Gesetzen und der Lehre der katholischen Kirche in Bezug auf die Fa- milie und die Rolle der Frau unterstellt fühlten. He- 66
	        

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