Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2007) (106)

Die Stelle der Regierung wurde Ende Juli neu ausgeschrieben, diesmal wurde die Bezeichnung Verwaltungsangestellte klar hervorgehoben. Auf diese Ausschreibung meldeten sich vier Frau- en zwischen 14 und 32 Jahren, einige mit Lehrab- schluss und langjähriger praktischer Erfahrung, andere mit zweijähriger Sekundärschule. Aufschluss- reich ist, wie die Regierung die Interessentinnen be- wertete. Neben einer abgeschlossenen kaufmänni- schen Lehre zählten für die Regierung hauptsäch- lich Eigenschaften wie «zuverlässig und sehr wil- lig», «pflichtbewusst» und «gibt sich an ihrer Stelle Mühe».162 Interessant ist, dass nach heutigen Krite- rien die Formulierung «gibt sich an ihrer Stelle Mühe» negativ ausgelegt wird und in etwa bedeutet, dass die Leistungen dieser Person nicht befriedi- gend sind, die Fähigkeiten minim sind, die Person sich aber immerhin Mühe gibt. Berufsbezogene Qualifikationen schienen in dieser regierungsinter- nen Bewertung nicht von besonderer Bedeutung, obwohl gerade eine dieser Frauen beachtliche be- rufliche Qualitäten nachweisen konnte: Sie hatte ihre kaufmännische Lehre mit einer Durchschnitts- note von 1,6 (heute umgerechnet 5,4) abgeschlossen und besetzte nach der Lehre eine Stelle als Buchhal- terin in einem Grossbetrieb. In ihrer Bewerbung stand «Nach anfänglicher Debitoren- & Kreditoren- buchhaltung und den damit zusammenhängenden Korrespondenzarbeiten wurde mir später auch die Führung der Kassa übergeben und im Laufe der Zeit breitete sich mein Arbeitsgebiet auf immer weiterer Basis aus. Heute verbuche ich sämtliche anlaufen- den Belege in der Finanzbuchhaltung und seit ei- nem Jahr wurde mir auch die Buchhaltung unserer Liegenschaften anvertraut.»163 Weiter schrieb sie, dass sie Wert auf eine Stelle lege, die sie ausfülle und ihr Freude bereite. Daher würde sie bei einer allfäl- ligen Berücksichtigung ihrer Bewerbung zuerst wis- sen wollen, welche Anforderungen die Regierung stelle und ob ihr die Arbeit zusagen würde.164 Selbst- bewusst gab sie eine relativ hohe Lohnforderung an. Es konnte nicht festgestellt werden, wen die Regie- rung schlussendlich einstellte. Dass die Beurteilung der Regierung aber nicht über Adjektive wie zuver- lässig, willig oder pflichtbewusst hinausging und 
dass besonders über die beruflichen Qualitäten der oben beschriebenen Frau kein Wort verloren wur- de, gibt einen Hinweis darauf, dass man an diesen nicht wirklich interessiert war. MÄNNER SIND ZU TEURE SCHREIBKRÄFTE In den 1960er Jahre hatten Schreibkräfte weibli- chen Geschlechts zu sein, denn Männer wurden de- finitiv als zu teure Schreibkräfte angesehen. Aber immerhin wurde nicht mehr darüber diskutiert, ob man Frauen überhaupt einstellen sollte. Der Einzug der weiblichen Angestellten in die unteren Hierar- chien war vollbracht. Das hiess aber noch lange nicht, dass Frauen nach gleichen oder mindestens ähnlichen Qualifikationen wie männliche Bewerber beurteilt wurden und nur annährend die gleichen Aufstiegschancen hatten. Ihre Beurteilung lief im- mer noch nach geschlechtsbezogenen und nicht nach berufsbezogenen Qualifikationen. Hausfrau- enqualifikationen wie Einfühlsamkeit und Mitgefühl waren gefragt, Frauen sollten natürlich Reissig, wil- lig und adrett sein. Ihr Arbeitsbereich blieb in den untergeordneten Positionen und der ihr zugeschrie- bene Geschlechtscharakter dominierte über ihre Fachqualifikationen. DER BEGINN DER 1970ER JAHRE «... WÄREN WIR OHNE WEITERES BEREIT, DEREN EIGNUNG FÜR DEN POSTDIENST SOFORT ABZUKLÄREN ...»165 Zu Beginn der 1970er Jahre stellte sich heraus, dass in Liechtenstein Mangel an Postbeamten und -be- amtinnen herrschte.166 Gerade Postbeamtinnen wa- ren gesucht. Da auch in der Schweiz nicht genug Postbeamte und -beamtinnen vorhanden waren, er- suchte Herr Schönenberger, Direktor der Kreispost- direktion St. Gallen, der auch für Liechtenstein zu- ständig war, Berufsberater Otto Seger in einem Schreiben, sich um die Sache zu kümmern: «Da es 62
	        

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