Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2007) (106)

FRAUEN ERWERBSARBEIT IM LIECHTENSTEIN DER NACHKRIEGSZEIT / JULIA FRICK LEBENSENTWURF 2 Frau B. wurde 1933 in Triesenberg geboren. Sie be- suchte von 1940 bis 1948 die Volksschule in Trie- senberg. Dann hätte es zwar eine Realschule in Va- duz gegeben, doch Mädchen seien zu ihrer Zeit in der Regel nicht in die Realschule gegangen. Sie woll- te auch nicht gehen, da sie dann jeden Tag zu Fuss nach Vaduz hätte gehen müssen. Sie war das jüngste von sechs Kindern, ihre ältes- te Schwester war 20 Jahre älter als sie. Einer ihrer Brüder hatte in Zürich Forstingenieur studiert. Auf sein Drängen ging sie 1948 ein Jahr nach Estavayer- le-Lac ins Institut Sacre Coeur, welches von Baldeg- ger Schwestern geführt wurde. Dort lernte sie fran- zösisch und Anstandslehre. Die Schule war sehr streng. Es gab keine Intimsphäre, alle Briefe wur- den geöffnet. Geschlafen wurde im Schlafsaal, der Ausgang erfolgte in Zweierreihen. Eigentlich hätte sie dort eine vierjährige Handelsschule absolvieren sollen. Sie konnte sich aber durchsetzen und durfte zurück nach Hause. Ihr habe es zu Hause immer am besten gefallen. Trotzdem reiste sie kurz nach dem Aufenthalt in der Westschweiz zusammen mit ihrer zukünftigen Schwägerin nach Bornemouth in Eng- land. Ein Liechtensteiner hatte sich dort niederge- lassen und vermittelte ihr eine Stelle als Volontärin in einem «noblen Haus». Sie musste Tee servieren, einkaufen, mit dem Hund spazieren gehen und zu- erst zusammen mit der Lady, dann alleine kochen. Der Lohn war sehr bescheiden, dafür hatte sie die Möglichkeit, ein wenig Englisch zu lernen. Nach die- sem zweiten Auslandaufenthalt hatte sie ihre Fran- zösischkenntnisse bereits wieder fast vergessen, da- her bewarb sie sich in einem Privathaushalt als Kin- dermädchen im Berner Jura. Zu Hause führte ihre Mutter einen Gemischtwa- renladen, die älteste Schwester machte den Haus- halt. Der Vater war Gemeindeförster und führte ne- benbei noch einen kleinen landwirtschaftlichen Be- trieb. Als der Bruder dann Forstingenieur wurde, gab der Vater seinen Beruf als Förster auf, da er nicht unter seinem Sohn arbeiten wollte. Interessant ist, wie die Mutter von Frau B. zum Gemischtwarenladen kam: Der Vater war Mitglied 
einer Genossenschaft, als im Dorf ein Laden aufge- geben und verkauft wurde. Er habe ihn gleich er- standen, sei nach Hause gekommen und habe die Mutter vor die nackten Tatsachen gestellt. Diese habe die Hände über dem Kopf zusammengeschla- gen, das dürfe doch nicht wahr sein! Sie hätten dann die Stube ausgeräumt, Gestelle eingebaut und den Laden eingerichtet. Schliesslich habe es dann sogar der Mutter gefallen. Sie kam so von einem Tag auf den anderen zu einem Laden und zu Arbeit. Das sei aber nur möglich gewesen, weil die älteste Schwes- ter dann den Haushalt übernommen hatte. Im Frühling 1951 kam Frau B. zurück aus dem Berner Jura und besuchte in Zürich die Handels- schule Gademann, welche ein Jahr dauerte. Sie lern- te dort Sprachen, Stenographie, Korrespondenz, Buchhaltung und Schreibmaschineschreiben. Die Schule vermittelte den Schülerinnen eine Unter- kunft. Frau B. wohnte bei einem älteren Ehepaar und teilte ihr Zimmer mit einer anderen Schülerin der Handelsschule. Unterkunft und Verpflegung kos- teten 240 Franken im Monat. Von ihrer Mutter er- hielt sie monatlich 260 Franken zugesandt. Ausgang oder andere Vergnügungen gab es für sie damals nicht, sie hätte auch gar nicht daran ge- dacht. Ausserdem hätte sie auch gar kein Geld dafür gehabt. Am Sonntag besuchte sie regelmässig die Kirche, was damals selbstverständlich war. Sams- tags ging sie spazieren oder verrichtete Handarbei- ten wie häkeln oder stricken. Sie habe in dieser Zeit etwa vier Tischdecken, hauptsächlich aus Langwei- le, gehäkelt. Es war nicht üblich, an den Wochenen- den nach Hause zu fahren. Ab und zu besuchte sie ihre Schwester, die in Weinfelden bei ihrem Onkel wohnte und in einem Restaurant arbeitete. Ihr Bruder bestand darauf, dass sie eine Ausbil- dung machte und in der Folge lernte sie auch das Autofahren. Sie besass zwar kein eigenes Auto, war aber wohl eine der sehr wenigen Frauen, die schon ein Auto steuern konnten. Im März 1952 kehrte sie mit einem Handels- schulabschluss zurück nach Triesenberg und trat im April 1952 ihre erste Stelle als «Bürofräulein» in Va- duz an. Zur Arbeit ging sie zu Fuss oder im Winter manchmal mit dem Schlitten. Ihr Gehalt betrug 27
	        

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