Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2007) (106)

LIECHTENSTEIN IN ALTEN SCHILDERUNGEN NORBERT W. HASLER Es gibt Geschlechter, aus denen sich die Geschichte ein liebenswürdiges und anziehendes Spielzeug zu machen scheint. Zu ihnen gehört das Liechtenstei- nische. Dieser Name, den wir in der Geschichte der Kaiserstaaten und in den parlamentarischen Kämp- fen des jüngsten Österreich finden, er schwingt auch mit, sobald man an van Dyck denkt oder Rembrandt; an deren gleichermassen herrliche und gleichermas- sen für die beiden grundverschiedenen grossen Meister bezeichnenden Gemälde von jungen Frauen in der Liechtensteinschen Galerie im Alsergrund- viertel von Wien. Dann geht ein schalkhaft behagli- ches Lächeln um unsern Mund, wenn wir an das Ur- bild aller verliebten Donquichotten denken, an je- nen Ulrich von Liechtenstein der Minnesängerzeit, der auch gleich noch sein eigener autobiographi- scher Cervantes zu unserer ironischen Wonne ge- worden ist. Und anders, aber auch behaglich und schalkhaft, kommt das Lächeln wieder, wenn uns einfällt, dass es in Europa ja auch eine souveräne Monarchie Liechtenstein gibt - von der den meisten freilich nicht viel mehr bekannt ist, als der anschei- nend unveräusserliche Treppenwitz der Geschichte: dass Liechtenstein bei den Neuordnungen anno 1866 nur vergessen worden und eben dadurch eu- ropäisch souverän geworden sei. Immer haben das Gemüt - ich sage absichtlich so - diese Däumlinge der Staatengesellschaft vergnüg- lich und sogar wohltuend beschäftigt. San Marino, Republik Andorra, Fürstentum Liechtenstein. Es tut so wohl, wenn man sieht, dass der eisenharte Ge- waltschritt der grossen Staatenbildung einem Veil- chen am Wege auszuweichen vermag, tut so wohl, wenn nicht alles immer versystematisiert sein muss. Gerade wir Deutsche haben einen uralten Hang zu der gerne gegönnten Ausnahme, zu Humo- ren dieser Art. Wir würden auch das Fürstentum Monaco mit der gemütshaften Zärtlichkeit solchen politischen Humors bedenken - wenn nicht Monaco eben auch Monte Carlo wäre. Gar nicht zu reden von den Briefmarkensamm- lern. Aber in der Beziehung ist Liechtenstein kein deutsches San Marino. Hier kommt schon ein etwas verlegener Zug in das sonst gesunde Antlitz der eu- ropäischen Monarchie des Fürstentums Liechten-stein. 
Die Marken, die man in Liechtenstein auf die Briefe klebt, tragen den Kopf des Kaisers Franz Jo- sef. Und das Geld, das man dort im Lande - nicht übermässig, aber wohlverteilt auskömmlich - hat, trägt den Doppeladler des k. k. Reiches. Nur Fürst Johann IL, der souveräne Herr von Liechtenstein, tut, wenn er ausfährt, Geld in seinen Beutel, das sein eigenes Bildnis zeigt; er macht von dem Rechte, zu münzen, für seine Person Gebrauch. Diese liechten- steiner Gold- und Kronenstücke laufen aber eher durch Wiener Hände als durch die der Landeskinder. Fürstentum Liechtenstein, 159,5 Geviertkilome- ter, die zum weitaus grösseren Teil raues Gebirgsge- lände sind, und 9650 Einwohner (im Jahre 1906), von katholischem Bekenntnis und deutscher Spra- che; keinerlei Staatsschuld. Das ungefähr wäre das Statistische. Aber diese deutsche Sprache hat mancherlei ro- manische Brocken in sich, und zwar von alters her, sie sind nicht etwa von sogenannter Bildung hinein- gewelscht. In allen diesen Gegenden wohnten einst- mals die von den Römern romanisierten, ethnogra- phisch immer noch unbestimmten Räter: die Räto- romanen, wie wir heute ihre letzten Reste in den obersten Alpentälern nennen. Liechtenstein liegt mitten in diesem alten Rätergebiet, d. h. nicht dem jetzigen, sondern dem geschichtlichen. Es liegt be- kanntlich am rechten Ufer des Rheins, da wo er die hohen Alpen durchzieht. Eine gute Strecke unter- halb von Chur beginnt es, besteht grösstenteils aus den nordwestlichen Abhängen des Rhätikon und wird umgrenzt von den Kantonen Graubünden und St. Gallen, sowie dem österreichischen Vorarlberg. Der Name der Hauptstadt ist rätoromanisch: Vaduz, in korrektem Latein Vallis dulcis, liebliches Tal. Die sprachliche Vermittlung erkennt man leicht in der älteren Namensform Valdulsch, wobei, wie so oft im Alamannischen, aus dem 1 dialektisch eine Ver- dumpfung des vorstehenden Vokales geworden ist. Vaduz ist auch der alte Name des Landes. Nach- dem längst vor Jahrhunderten die rätischen Ein- wohner durch Zuwanderung und Germanisation zu Deutschen geworden waren, wurde erst im Jahre 1719 auch der Landesname deutsch. Nämlich da- durch, dass Kaiser Karl VI. die Herrschaften Vaduz 305
	        

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