Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2007) (106)

ben, denn hier erlebte sie eine Freiheit, die sie zuvor nicht kannte. Die Heimat bedeutete für sie, unter kirchlicher und elterlicher Obhut zu stehen, sie fühl- te sich eingeengt. Ausserdem machte ihr die Arbeit auf dem bäuerlichen Betrieb und im Haushalt keine Freude, es sei eine ungeliebte Arbeit gewesen und bekommen habe sie dafür ja gar nichts. Nach vier Jahren in der Westschweiz kehrte sie kurz nach Liechtenstein zurück. Es habe ihr aber überhaupt nicht mehr gefallen. Sie sei todunglück- lich gewesen und habe so schnell wie möglich wie- der von zu Flause weg wollen. Daher arbeitete sie weiter als Dienstmädchen, zuerst in einer Pension in Lugano, dann in Genua. Auch hier nahm sie für ein wenig Freiheit viel Arbeit in Kauf. Selbstverständlich schickte sie den Lohn weiterhin nach Hause. Als sie zirka 25 Jahre alt war, kam der Rückruf. Die Mutter war nicht mehr «zwäg», «abgschaffet isch sie halt gse».36 Die Frauen hätten es früher schon wahnsinnig schlecht gehabt, meint Frau A. Nun musste sie endgültig und schweren Herzens zu- rück nach Flause zurückkehren, was in ihrer Situati- on damals eine Selbstverständlichkeit war. Sie musste nun wieder in der Landwirtschaft und im Haushalt mithelfen, in die Kirche gehen und sich an die anderen einengenden Pflichten anpassen. Die Welt, in die sie zurückkehrte, erschien ihr völlig an- ders als jene, die sie kennen lernen durfte. Selbst die Essgewohnheiten unterschieden sich. Zu Hause wurde nur Riebel und Kartoffeln gegessen. Nudeln und Reis waren nicht auf dem Menuplan: «Die hät- ten das nicht gegessen, das gab's nicht!» Frau A. hatte ihren Horizont im Ausland erwei- tert, konnte sich nach ihrer Rückkehr aber nicht weiterentwickeln. Sie musste sich den ländlichen, katholisch geprägten, beengenden Verhältnissen wieder anpassen, was eine riesige Umstellung für sie bedeutete. Neben der Arbeit in Haus und Hof bewarb sie sich für eine Stelle bei der Post, die sie dank ihren Französisch- und Italienischkenntnissen erhielt. Sie wurde Telefonistin und sie war auch am Schalter tätig. Nach Feierabend musste sie noch Te- legramme verteilen. Für sie sei es eine Erlösung ge-wesen, 
so konnte sie wenigstens während der Wo- che der landwirtschaftlichen Arbeit (ausser am Fei- erabend und natürlich am Wochenende) entfliehen. Es habe ihr dort gefallen. Man habe auch Nacht- und Wochenendschichten gehabt, die Telefonzen- trale musste immer besetzt sein. Man habe dann in der Post in einem kleinen Räumchen übernachtet. Der Anfangslohn betrug 80 Franken. Sie waren ca. drei Frauen und ein Mann. Der Mann verdiente bes- ser als die drei weiblichen Angestellten, er habe aber auch einen Lehrabschluss gehabt, die Frauen hingegen seien bloss angelernt gewesen. Da ihr Verlobter noch studiert habe und man ei- nen Studenten nicht heiraten konnte, heiratete sie erst mit 31 Jahren. Sie arbeitete dann noch drei bis vier Jahre, bis die Kinder zur Welt kamen. Auf die Frage, warum sie weiter gearbeitet habe nach der Heirat, ob das so üblich gewesen sei, antwortete sie, dass sie damals das Haus (ihr Elternhaus) umgebaut hätten und auch auf ihren Lohn angewiesen gewe- sen seien. Nach der Geburt des ersten Kindes gab sie ihre Stelle bei der Post auf. Sie habe aber immer gearbei- tet, da war der Haushalt, die Kindererziehung und auch ehrenamtliche Arbeit, wie etwa beim Landes- verband für Frauen und Töchter, später beim Frau- enverein. DIE MUTTERSCHAFT ALS HÖCHSTES ZIEL EINER JEDEN FRAU Flausarbeit und Kindererziehung, also Reprodukti- onsarbeit, wurde als die wahre Aufgabe) der Frau angesehen. Eine Frau hatte nach Vorstellung der katholischen Kirche, die mit der damaligen liech- tensteinischen öffentlichen Meinung als nahezu identisch zu betrachten ist, Mutter zu sein, treu lie- bende Gattin, fromm, fleissig und tüchtig sowie de- mütig. Sie war ihrem Ehemanne Untertan, denn er hatte die Verantwortung für sie zu tragen. Die Ehe- frau war zudem zuständig für des Ehemannes Glück und Zufriedenheit, sowie für gesunde, wohlerzoge- ne Kinder. Dieser normative Wertbildungsprozess, welcher durch die Kirche vorgegeben wurde und 24
	        

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