Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2007) (106)

WAS LEISTET EIN SPRACHATLAS? Wenn man nach dem Nutzen eines Sprachatlasses fragt, so kann man zunächst einmal darauf verwei- sen, dass ein solches Werk den Zustand der alten bäuerlichen Welt dokumentiert. Insofern hat er eine Art musealen Wert, seine Rechtfertigung wür- de dann der Rechtfertigung zahlreicher Museen entsprechen. Neben diesem dokumentarischen Interesse an einem Sprachatlas steht das rein sprachwissen- schaftliche. Sprachatlanten weisen die Verbreitung sprachlicher Phänomene im Raum nach und zei- gen, wie sich sprachliche Phänomene ausbreiten und wie die Grenzorte sprachlich beim Aufeinan- dertreffen zweier Lösungen reagieren. Da sich im Raum sprachliche Veränderungen nachweisen las- sen, bieten Sprachatlanten auch Material an, um sprachwissenschaftlichen Theorien nachzugehen. Was sagt die Sprachgeographie zu Lautwandel und Lautersatz? Welchen Beitrag kann sie bei der Dis- kussion über den systemhaften Charakter von Spra- che liefern und was erfahren wir aus den Karten über die Erscheinung der Volksetymologie? Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Dokumentation der bodenständigen Mundarten für die Beschrei- bung der heutigen Sprachentwicklung. Ohne diese Erforschung kann man die heute bei den jüngeren Generationen zu beobachtenden sprachlichen Ver- änderungen gar nicht beschreiben. Für Liechtenstein, Vorarlberg und den ganzen Alpenraum von besonders grossem Wert ist schliess- lich aber auch die Tatsache, dass ein Sprachatlas wie der VALTS für Nachbardiszipünen wie die Volks- kunde, ganz besonders aber für die Siedlungsge- schichte, von grösstem Interesse sein sollte. Die Sprachkarten machen nämüch deutlich, wie die Be- siedlung in unserem Raum vor mehreren Jahrhun- derten abgelaufen sein muss. Bei der Beantwor- tung der Frage, wie man sich den Germanisie- rungsprozess vorstellen muss, üefern die VALTS- Karten bestes Anschauungsmaterial. Dasselbe gilt für die Walserwanderung im ausgehenden Mittelal- ter, denn schon Paul Zinsli hat in seinem Grundla- genwerk «Walser Volkstum» festgestellt, dass die 
gemeinsame Sprache heute das wichtigste Walser- merkmal ist. Und schliesslich können wir aus den Karten auch alte Verkehrswege und wirtschaftliche Zusammenhänge erkennen, die von den heutigen Verhältnissen verdeckt werden. SCHLUSS Es war ein langer Weg vom Start in Ruggell am 3. Februar 1964, wo Eugen Gabriel bei seiner ersten Aufnahme zum VALTS von Rudolf Hotzenköcherle begleitet wurde, bis zum Abschluss des Atlasses Ende 2006. Über 40 Jahre Arbeit stecken in diesem Werk. Wie dieses Werk entstanden ist, was man daran an sprachlichen Erscheinungen erkennen und welchen Nutzen auch andere Disziplinen daraus ziehen können, habe ich aufzuzeigen versucht. Von Anfang an war es Eugen Gabriels ausdrücklicher Wunsch, dass der Atlas von einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht benutzt wird. Die dreiteilige Anlage des Atlas in Karten-, Kommentar- und Ab- bildungsband sollte die Verwirklichung dieses Wun- sches erleichtern. Wünschenswert wäre jetzt noch ein Register mit dem gesamten Wortmaterial aus allen fünf Bänden und - als Einstieg für interessier- te Laien oder auch für Schulen - eine einbändige Volksausgabe mit einer allgemein verständlichen Einführung in das Werk und einer Darstellung der wichtigsten sprachgeographischen Erkenntnisse, so wie es die benachbarten Regionen Baden-Würt- temberg (Klausmann/Kunze/Schrambke) und Bay- ern (Renn/König) schon besitzen. 124
	        

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