DER SPRACHATLAS FÜR VORARLBERG, LIECHTENSTEIN, WESTTIROL UND DAS ALLGÄU / HUBERT KLAUSMANN 3. Die Entwicklung von
mhd. o vor r (Abbildung 3) Vor r wird
mhd. o immer offen gesprochen (VALTS I 140-143): böra «bohren», veiiööra «verloren». Folgt
diesem r aber noch ein weiterer Konsonant, wird dieses
offene o im Unterland (ohne Llinter- schellenberg)
zu -a-. harn «Horn», Argla. «Orgel», Marga «Morgen» (VALTS I 144/145). 4. Die Dehnung in offener Silbe (VALTS II 164-183) Von Norden ist eine Lauterscheinung ins Vorarlber- ger und Liechtensteiner Rheintal vorgedrungen, die das Liechtensteiner Oberland (noch) nicht er- fasst hat: es ist die sog. Neuhochdeutsche Dehnung: Jeder mhd. Kurzvokal in offener Silbe wird ge- dehnt. Da diese Erscheinung in sehr vielen Wör- tern auftritt, ist der Unterschied sehr auffällig. Eu- gen Gabriel (in Frick 1990, S. 18) gibt hierfür u.a. folgende Beispiele: -
Unterland: leega «liegen», gschreeba «geschrie- ben», Schtooba «Stube», Toobel «Tobel», Bböda «Boden», glööga «gelogen», Rääga «Regen». -
Oberland: lega «liegen», gschreba «geschrie- ben», Schtoba «Stube», Tobel «Tobel», Böda «Bo- den», glöga «gelogen», Räga «Regen». 5. Die Entsprechung von
mhd. ei (VALTS II 84-103) Die Veränderungen bei
mhd. ei führten in Liech- tenstein zu einem vielfältigen Bild, das sich aber of- fenbar gerade sehr stark verändert. Eugen Gabriel (in Frick 1990, S. 20) trifft folgende Unterteilung: - Im Unterland gibt es zwei verschiedene Entspre- chungen: - Ruggell, Gamprin, Hinterschellenberg haben einen offenen, gedehnten o-Laut, den ich hier wieder vereinfachend
als -öd- wiedergebe.- Sööl «Seil», Tool «Teil», höößa «heissen», zööga. «zei- gen», Löötera «Leiter». - In Eschen und Mauren spricht man in all die- sen Fällen einen
a-Laut: Saal, Taal, haaßa, Laa- tera. Taag bedeutet
hier «Teig» und «Tag». - Im Oberland ist dagegen in diesen Fällen ein überoffener ä-Laut zu
hören: Sääl, Tääl, hääßa, Läätera, zääga. Wir finden diesen Laut auch in Appenzell und im Walgau.
- Vor Nasal sind die Verhältnisse wieder anders. Im Unterland gilt dann in allen Orten
-öd-.- Böö «Bein», Schtbö «Stein»... 6. Walsermerkmale Triesenbergs Wie in Liechtenstein jedem bekannt ist, hebt sich die Mundart von Triesenberg in zahlreichen Fällen von den anderen Liechtensteiner Mundarten ab. Diese Besonderheit der alten Walsersiedlung zeigt sich auch auf zahlreichen Karten der ersten beiden VALTS-Bände: a) Die Entwicklungen von
mhd. a und
mhd. ä wer- den hier nicht unterschieden: - Gras
«Gras», Tag «Tag», faara «fahren» für mhd. a (VALTS 11,2, 21) - Aabet «Abend», Schwanger «Schwager» für mhd. ä (VALTS II 1) b) Charakteristisch ist auch die sog. Sprossvokal- bildung
in moora «morgen», Hoora «Horn», gäära «gern» (VALTS I 157). c) Ebenfalls auffallend sind die
Aussprachen Fläu- ga «Fliege», «au/«tief» ... (VALTS II 134) BESONDERHEITEN AUS BAND III (KONSONANTISMUS UND MORPHOLOGIE) Auch bei den Karten zum Konsonantismus heben sich die Liechtensteiner Mundarten von ihren Vor- arlberger Nachbarn ab. So hört man in Liechten- stein für
germanisches k nach / und r
einen ch- Laut, der manchmal
zu -h- abgeschwächt wird. Man sagt hier - allerdings nicht immer in allen Ort- schaften
- March «Mark» (VALTS III
46), schtarch «stark» (VALTS III
47), Khalch «Kalk», mälha «mel- ken» (VALTS III
50), kmolha «gemolken» usw., während man in Vorarlberg überall ein aspiriertes -kh- spricht: Markh, schtarkh, mälkha... Bei den Karten zur Grammatik finden wir im- mer wieder den Fall, dass sich das Liechtensteiner Unterland vom Oberland in der Bildungsweise der Formen (Morphologie) unterscheidet. So lautet bei- spielsweise die mundartliche Form von «wir ha- ben» (VALTS III 107) im
Unterland hon, im Ober- land hend, für «getan» (VALTS III 115a) hört man 111