FRAUENERWERBSARBEIT IM LIECHTENSTEIN DER NACHKRIEGSZEIT / JULIA FRICK Einleitung AUSGÄNGSLAGE Haben die Frauen Liechtensteins eine Geschichte? Worin unterscheidet sich die unbekannte Geschich- te der Frauen von der allgemein Bekannten der Männer? Was sind die Gründe für die mangelnde Forschung über die weiblichen Lebensbereiche in der Vergangenheit? Es ist nicht möglich alle diese Fragen zu beant- worten, aber sie waren für mich Ausgangspunkt, um mich mit einem Teil der Geschichte der Frauen Liechtensteins auseinanderzusetzen und die Ergeb- nisse in die Sozial-, Wirtschafts- und Alltagsge- schichte Liechtensteins einzugliedern. Zudem woll- te ich meine Lizentiatsarbeit im Rahmen der «Gen- der Studies» machen. Die Begriffe «Frauenarbeit» und «Frauenerwerbsarbeit» waren für mich des- halb von zentraler Bedeutung. Weder gibt es für die Nachkriegszeit Untersuchungen über die Frauenar- beit in Liechtenstein noch existiert ein männliches Pendant zu diesen Begriffen, ähnlich wie bei der «Frauenfrage», dem «Frauenstimmrecht», dem «Frauenlohn», usw. Die Schlagworte «Frauenar- beit» und «Frauenerwerbsarbeit» wurden zu etwas Besonderem, zur Ausnahme, vor allem aber zum «Anderen» gemacht. Ein weiterer Anstoss zu dieser Arbeit war auch die Tatsache, dass im Jahr 2004, also 20 Jahre nach der Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts (1984) noch immer keine volle Chancengleichheit von Frauen und Männern, weder in beruflicher noch in politischer Hinsicht, herrschte. Bei den weiblichen Lehrlingen ist immer noch eine klare Konzentration auf die kaufmännischen Berufe festzustellen, während sich die Berufswahl der männlichen Lehrlinge auf ein viel breiteres Spektrum verteilt. Die Männer weisen im Durch- schnitt immer noch eine höhere Ausbildung auf als Frauen.1 In politischer Hinsicht sind die Wahlchancen von Frauen deutlich geringer als die der liechtensteini- schen Männer. Bei den Landtagswahlen in der Zeit zwischen 1986 und 2001 wurden beispielsweise durchschnittlich 50 Prozent aller kandidierenden Männer gewählt. Bei den kandidierenden Frauen
lag die Chance auf ein Mandat bei knapp 10 Prozent. Männer hatten aus der alleinigen Tatsache ihres männlichen Geschlechts eine fünf Mal höhere Chan- ce in den Landtag gewählt zu werden als Frauen. Auch auf dem Arbeitsmarkt ist die Gleichstellung der Geschlechter noch nicht vollkommen verwirk- licht. Über 80 Prozent der obersten Managementpo- sitionen werden von Männern eingenommen und knapp 80 Prozent des akademischen und oberen Kaders werden aus Männern gebildet. Frauen sind jedoch bei den qualifizierten, nicht-manuellen Beru- fen, also den Büroberufen in einer deutlichen Über- zahl. Sie sind aber häufiger von Arbeitslosigkeit be- troffen als Männer. Ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen besteht lediglich bei den Ungelernten und Sonstigen, wie aus der Tabelle auf Seite 6 hervorgeht.2 ZIELSETZUNG, FRAGESTELLUNG UND THEORETISCHER HINTERGRUND Im Zentrum meiner Untersuchung steht die Arbeits- situation von Frauen im Liechtenstein der Nach- kriegszeit bis zum Beginn der 1970er Jahre. Es stellte sich als äusserst schwierig heraus, his- torische Quellen über Frauenerwerbstätigkeit zu finden und Einblick in ihren Arbeitsalltag zu erhal- ten. Es drängte sich die Frage auf, ob überhaupt von einem generellen Frauenarbeitsalltag gesprochen werden kann und ob alle erwerbstätigen Frauen als homogene Gruppe betrachtet werden können. An- hand von Volkszählungen und Statistiken konnte aber eine Struktur der erwerbstätigen Frauen er- mittelt und eine relativ homogene Gruppe durchaus festgestellt werden. Schwieriger war es, Gemein- samkeiten innerhalb der Frauenerwerbswelt fest- zustellen. Für dieses Unterfangen müsste jeder ein- zelne Frauenberuf genau untersucht und verglichen werden, was den Rahmen dieser Arbeit gesprengt 1) Vgl. Marxer, 20 Jahre Frauenstimmrecht, S. 49. 2) Ebenda, S. 55. 5