Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

SOUVERÄNITÄT ALS STANDORTFAKTOR CHRISTOPH MARIA MERKI der gleichen Höhe wie die Könige von Bayern oder Preussen, und in der Hofgesellschaft der Kaiser- stadt Wien hatte er eine herausgehobene Stellung. Das Haus Liechtenstein erlangte also dank sei- ner wirtschaftlichen Macht politische Souveränität. Der kleine Staat, der nun seinen Namen trug, machte im 20. Jahrhundert das Umgekehrte: Er schlug aus seiner politischen Souveränität wirt- schaftliches Kapital. Im Zusammenhang mit die- sem Mechanismus gab es verschiedene Bemühun- gen - solche, die auf lange Sicht funktionierten, sol- che, die nur kurzfristig erfolgreich waren,14 bedeu- tende oder unbedeutende, schliesslich solche, die sich überhaupt nicht realisieren Hessen.15 Aus- serdem konnte fast jedes sozioökonomische Han- deln einen Aspekt kommerzialisierter Souveränität aufweisen, ohne dass dieser im Vordergrund ge- standen hätte oder auf den ersten Blick sichtbar ge- wesen wäre. Dies gilt zum Beispiel für den Spit- zensport, namentlich für den Fussball. In den Jah- ren 1997 und 1998 musste Liechtenstein in Vaduz ein neues Stadion aus dem Boden stampfen, um den Länderspielanforderungen der internationalen Fussballverbände FIFA und UEFA genügen zu kön- nen. Im Gegenzug erhielt der Liechtensteiner Fuss- ballverband internationale Fördergelder und die sich aus den elf Dörfern rekrutierende Mannschaft regelmässig hochklassige Gegner wie die englische Nationalelf. Die beiden Trümpfe der liechtensteinischen Volks- wirtschaft 
(das Outsourcing öffentlicher Aufgaben und die Kommerzialisierung der Souveränität) ge- hen oft Hand in Hand, zum Teil überschneiden sie sich auch. Es ist diesen beiden Mechanismen ge- meinsam, dass sich ihre Effekte im konkreten Ein- zelfall nur mit Mühe beziffern, die Vor- und Nach- teile sich oft nicht so deutlich voneinander trennen lassen. Gemeinsam ist ihnen darüber hinaus, dass sie von der Bevölkerung (die ihnen ja einen grossen Teil ihres überdurchschnittlichen Wohlstandes ver- dankt) kaum erkannt und wahrgenommen werden. So ist es wohl nur wenigen Vaduzern bewusst, dass die vielen Touristenbusse, die sich jeweils im Som- mer bei ihnen einfinden, nur deshalb kommen, weil Liechtenstein ein souveräner Staat ist - und 
nicht weil das «Städtle» besonders sehenswert wäre.16 Vaduz eignet sich besonders gut für einen kurzen Zwischenstopp, zum Beispiel auf dem Weg von Mailand nach München oder von Luzern nach Salzburg, denn es liegt nur wenige Hundert Meter von der europäischen Nord-Süd-Achse über den San Bernadino-Pass entfernt. Tausende von Japa- nern lassen sich bei ihrer Stippvisite auf dem Liechtensteiner Tourismusbüro den Reisepass - diesen klassischen Ausdruck staatlicher Souverä- 10) Gantner, Manfried; Eibl, Johann: Öffentliche Aufgabenerfüllung im Kleinstaat. Das Beispiel Fürstentum Liechtenstein. Vaduz. 1999, S. 379; Martin Georg Kocher: Very Small Coutries: Economic Success Against all Odds. Vaduz, 2003. 11) Ritzmann-Blickenstorfer. Heiner (Hrsg.): Historische Statistik der Schweiz. Zürich, 1996, S. 960. 12) Vgl. Quaderer, Rupert: «...wird das Cotingent als das Unglück des Landes angesehen». Liechtensteinische Militärgeschichte von 1814 bis 1849. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürs- tentum Liechtenstein. Bd. 90 (1990), S. 1-281. 13) Ospelt, Alois: Wirtschaftliche Aspekte der Aussenpolitik im 19. Jahrhundert. In: Fragen an Liechtenstein. Hrsg. Liechtensteini- sche Akademische Gesellschaft. Vaduz. 1977 (2. Aufl.), S. 79-83. 14) Nur wenige Jahre in Vaduz ansässig war die Mutualclub-Lotterie (vgl. Geiger, Peter: Krisenzeit. Liechtenstein in den Dreissigerjahren, 1928-1939. Vaduz/Zürich, 1997, Bd. 2, S. 28/29). Sie siedelte 1925 von der Schweiz nach Liechtenstein über, nachdem diese kommerzi- elle Lotterien verboten hatte, und beschäftigte einige Dutzend Leute. Da die Lotterie, die vor allem in den britischen Kolonien tätig war, für den Losversand zusehends schweizerische Postämter und Deck- adressen benutzte, schritt der Bundesrat ein, verlangte ihre Schlies- sung und die Übernahme der schweizerischen Lotteriegesetzgebung durch Liechtenstein - dies geschah 1934, womit dieses Geschäft, das seine vorübergehende Existenz alleino der liechtensteinischen Sou- veränität verdankt hatte, zu Ende war. 15) Im Jahr 2003 sorgte ein Vorhaben für internationales Aufsehen, das man als Apotheose kommerzialisierter Souveränität bezeichnen könnte. Ein Reiseveranstalter hatte die Idee, den Staat Liechtenstein für jeweils einen Tag an ausländische Unternehmen zu vermieten (vgl. The Guardian vom 14. Februar 2003: Country for hire). Das Ganze versandete, als sich die einheimischen Medien gegen das Projekt stellten und die Behörden (deren Institutionen in das Pro- gramm hätten eingebaut werden sollen) nicht mit dem Veranstalter kooperieren wollton. 16) Das Schloss als Residenz des Fürsten lässt sich seit den 1950er Jahren nicht mehr besichtigen. Baugeschichtlich wäre das nahe Städtchen Werdenberg auf der schweizerischen Seite des Rheins etwa so interessant wie alle Liechtensteiner Dörfer zusammen. 85
	        

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