VON WESTFALEN ZUM GLOBAL VILLAGE ZOLTÄN TIBOR PÄLLINGER doch wird der Charakter der Souveränität relati- viert. Die einzelnen Länder können aber ihre Anlie- gen immer weniger hoheitlich durchsetzen, des- halb müssen sie häufiger in Verhandlungsprozesse mit anderen Staaten und nicht-staatlichen Akteu- ren treten. Dabei wird Souveränität vermehrt als Verhandlungsressource eingesetzt, die gegen Ge- genleistungen eingetauscht oder zum Schaden der anderen Akteure eingesetzt werden kann.109 In Zu- kunft werden - so vermuten einige Autoren - multi- ple, netzwerkartige Hierarchien vorherrschen, in denen neben die Nationalstaaten andere, zusätzli- che Souveräne treten werden.110 IUS COGENS UND OBLIGATORISCHE GERICHTSBARKEIT Das Aufkommen des ius cogens wird häufig als Zei- chen für eine grundlegende Veränderung des Völ- kerrechts gesehen.111 Unter den Begriff des ius co- gens fallen die zwingenden Normen des Völker- rechts, die nicht durch Absprachen im engeren Kreis aufgehoben werden können.112 Die Existenz des ius cogens war lange Zeit umstritten und wur- de erst in der Wiener Vertragsrechtskonvention (im Folgenden WVRK)113 von 1969 allgemein aner- kannt. Artikel 53 der WVRK besagt, dass Verträge, die im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens) stehen, nich- tig sind. Mit dieser Bestimmung wird die Vertrags- freiheit und damit auch die rechtliche Souveränität der Staaten eingeschränkt. Sie stellt eine Abkehr vom Grundsatz dar, dass Völkerrecht nur durch Konsens zwischen den Staaten erzeugt werden kann. Die Anerkennung des ius cogens beinhaltet implizit die Idee der Existenz einer internationalen Gesellschaft, die über einen eigenen ordre public verfügt. Diesem weitreichenden Konzept steht ein beschränkter praktischer Wirkungsbereich entge- gen: «Der umfangreichen Literatur zu ius cogens steht eine ausgesprochen spärliche Praxis gegen- über ... Abgesehen von diesem Vertragstext (WVRK, Anm. d. Autors) gibt es aber in der Staatenpraxis und in der Rechtsprechung kaum einen Beleg für die
Anwendung des Konzepts.»114 Aus diesem Grunde fällt es schwer, einen Bestand an konkreten Nor- men - ausserhalb der WVRK - zu identifizieren, die sich unter den Begriff des ius cogens subsummie- ren lassen. Dies wiederum macht es fast unmög- lich, die Konsequenzen für die Entwicklung der Souveränitätskonzeption abzuschätzen. In den letzten Jahren ist es gelungen, über die bestehenden Gerichtsbarkeiten wie den Internatio- nalen Gerichtshof, den Internationalen Seegerichts- hof sowie die international bestehende Schiedsge- richtsbarkeit hinaus mit der Einrichtung der Ad- hoc-Tribunale zu Jugoslawien und Ruanda sowie mit der Gründung des Internationalen Strafge- richtshofes (im Folgenden IStGH) ein völkerrechtli- ches Instrument zur Ahndung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegs- verbrechen zu schaffen. Im Gegensatz zu den bei- den Ad-hoc-Tribunalen soll mit dem IStGH eine ob- ligatorische Gerichtsbarkeit verwirklicht werden.115 Die Einführung einer solchen obligatorischen Ge- richtsbarkeit ist ein beachtlicher Beitrag zur Ver- wirklichung globaler Rechtsstaatlichkeit und damit auch zur Zivilisierung der internationalen Bezie- 102) Paech 2004, S. 23. 103) JGH: Military and Paramilitary Activities in and against Nicara- gua (Nicaragua vs. USA), 1986 ICJ Reports 14, para. 186, zit. in: Paech 2004, S. 23. 104) Stehr 2003, Kapitel 3.3. 105) Pällinger 2005, S. 20. 106) Brock 1998. S. 42. 107) Mahnkopf 1998, S. 56. 108) Schwerdt 2003, S. 50 ff. 109) Walter 1998, S. 7 ff. 110) Held 1995, S. 233 f. 111) Müller-Wewel 2003. S. 299. 112) Verdross, Simma 1984, S. 328. 113) Wiener Übereinkommen über das Recht der Vorträge (23. Mai 1969) in: Randelzhofer 2004. S. 143-167. 114) Müller-Wewel 2003. S. 301. 115) Varwick 2005. S. 7. 69