Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

Diesen Einwänden lässt sich entgegenhalten, dass die Gültigkeit des Völkerrechts von der Rechts- überzeugung und nicht vom faktischen Handeln der Staaten abhängig ist: In den Kriegen um die Jahrtausendwende haben alle beteiligten Regierun- gen versucht, ihre Handlungsweise mit der UNC zu rechtfertigen.102 Der Internationale Gerichtshof hat zu dieser Frage festgehalten: Wenn ein Staat in einer Weise handelt, die dem ersten Anschein nach unvereinbar mit den aner- kannten Regeln ist, aber sein Verhalten damit rechtfertigt, dass er sich auf Ausnahmen oder Rechtfertigungsgründe beruft, die in der Regel selbst enthalten sind, dann bedeutet dieses Verhal- ten - gleichgültig ob dieses Verhalten des Staates nun wirklich gerechtfertigt ist oder nicht - eher eine Bestätigung denn eine Schwächung dieser Re- gel.™ Gestützt auf diese Aussage wird hier die Position vertreten, dass solange die UNC von den Mitglie- dern der Weltorganisation als verbindlich aner- kannt wird und die in ihr und zahlreichen anderen Dokumenten der UNO postulierten Prinzipen von den meisten Staaten auch befolgt werden, durch- aus von der Entstehung eines neuen Völkerrechts und einer neuen Souveränitätskonzeption gespro- chen werden kann, auch wenn die Entwicklung der Völkerrechtslehre der realen Politik vorauseilt. AKTUELLE HERAUSFORDERUNGEN Nach der Darstellung des modernen Souveränitäts- konzepts werden in diesem Kapitel einige aktuelle Entwicklungen aufgezeigt. Konkret sollen die sou- veränitätsrelevanten Auswirkungen 1. der Globali- sierung, 2. der Entstehung eines ius cogens und ei- ner obligatorischen Gerichtsbarkeit, 3. der huma- nitären Interventionen sowie 4. der präemptiven Selbstverteidigung skizziert werden. 
GLOBALISIERUNG Seit der Mitte der 1990er Jahre hat der Begriff der Globalisierung Eingang in die öffentliche Debatte gefunden. Dieses Phänomen lässt sich am besten als kontinuierlicher Vernetzungsprozess von ver- schiedenen, weltweit stattfindenden Ereignissen in den Bereichen Wirtschaft, Technik, Politik und Um- welt mit gegenseitigen Auswirkungen begreifen.104 Dieser Prozess betrifft die Gesellschaft als Ganzes. Die gesteigerte Mobilität von Gütern und Kapital sowie die sofortige, weltweite Verfügbarkeit von In- formationen überbrücken die geographischen Di- stanzen. Dabei entsteht ein Weltbinnenmarkt, der den Staaten einen Standortwettbewerb aufzwingt. Wachsende Interdependenz, kulturelle und soziale Austauschprozesse führen zur Entstehung einer Weltgesellschaft (global village). Gleichzeitig stei- gen auch die Herausforderungen, die nur im globa- len Rahmen bewältigt werden können. Dies führt zur Entstehung einer Risikogemeinschaft. Schliess- lich bewirkt der wissenschaftliche und technische Fortschritt, dass Wissen zur wichtigsten Ressource wird (Wissensgesellschaft).105 Die geschilderten Entwicklungen führen dazu, dass alle Staaten der Erde stärker miteinander ver- flochten sind und immer aussenabhängiger wer- den. Dabei klaffen politische Gestaltungs- und Ver- antwortungsräume auf der einen und wirtschaftli- che und ökologische Wirkungsräume auf der ande- ren Seite auseinander, so dass die demokratische Legitimation der Politik ins Leere läuft.106 Die bis anhin bestehende - paradigmatische Kongruenz - von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsmacht ero- diert.107 Die Nationalstaaten verlieren an Lland- lungsautonomie gegen innen und aussen und kön- nen die grenzüberschreitenden Bewegungen im- mer weniger kontrollieren.108 Daraus folgt, dass die Interdependenzsouveränität immer stärker aus- gehöhlt wird. Hingegen sind die Aspekte der recht- lichen und der de-iure-Souveränität durch die Glo- balisierung nicht stark betroffen. Generell lässt sich festhalten, dass die Befunde hinsichtlich der Globa- lisierung uneinheitlich ausfallen: Die Staaten blei- ben zwar die wichtigsten internationalen Akteure, 68
	        

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