VON WESTFALEN ZUM GLOBAL VILLAGE ZOLTÄN TIBOR PÄLLINGER tenzvölkerrecht, das sich auf wenige Felder, insbe- sondere die Abgrenzung der staatlichen Souverä- nitätsbereiche und die Regelung des zwischen- staatlichen Verkehrs beschränkt hatte, entfaltet sich immer mehr ein Völkerrecht, das auf die Koopera- tion zwischen den einzelnen Staaten, sei es bei- spielsweise im Bereich der Wirtschafts- und Fi- nanzbeziehungen, der Entwicklungshilfe sowie des Umweltschutzes abzielt. Dabei gehen die völker- rechtlichen Regelungen zunehmend über die staa- ten-individualistische Konzeption des klassischen Völkerrechts hinaus und umfassen sowohl wirt- schaftliche als auch soziale Komponenten, die eine verstärkte Solidarität unter den Staaten anvisieren. Diese Entwicklung scheint für optimistische Beob- achter auf die Entstehung einer Weltgesellschaft hinzudeuten.91 Schliesslich gilt es, noch auf ein letztes Phäno- men hinzuweisen, das von Bedeutung ist für das moderne Souveränitätsverständnis: den Regiona- lismus, insbesondere die europäische Integration. Trotz der Universalität des modernen Völkerrechts wäre es irrig anzunehmen, dass alle Entwick- lungstendenzen weltweit gleichmässig verliefen. Hierfür sind die Bestimmungsfaktoren der einzel- nen Staaten, insbesondere ihre Vergangenheit und ihre aktuelle Interessenslage, allzu verschieden. Allenfalls lassen sich Staaten mit annähernd glei- chen Entwicklungstendenzen und ähnlichen In- teressenlagen zu grösseren Gruppen (Regionen) wie etwa Europa, euro-atlantische Staatengemein- schaft, Schwarzafrika, südostasiatische Staaten, Südamerika, Entwicklungsländer etc. zusammen- fassen.92 Die UNO ist bestrebt, den Regionalismus für die Förderung der Rechtsentwicklung in sol- chen Bereichen zu nutzen, in denen auf globalem Niveau noch keine oder nur geringe Fortschritte erzielt werden konnten, um der Realisierung ihrer Ziele wenigstens auf regionaler Ebene näher zu kommen. Der Regionalismus birgt jedoch auch Ge- fahren in sich, könnte doch eine zu starke Vertie- fung regionaler Rechtsgemeinschaften die Einheit des Völkerrechts, das die Grundvoraussetzung für die Erfüllung der Friedensfunktion bildet, aus- höhlen.93
Im Rahmen regionaler Organisationen können Integrationsniveaus erreicht werden, die viel höher liegen als bei den «gewöhnlichen» internationalen Organisationen, was grundsätzlich auch zu einer stärkeren Einschränkung der Souveränität führt. Die EU als bekanntestes Beispiel für eine regionale supranationale Organisation erreicht ein bis anhin unbekanntes Ausmass an politischer Integration. 78) In diesem Zusammenhang ist insbesondere die sog. «Entkolonia- lisierungs-Resolution» (A/Res 1514) vom 20. Dezember 1960 von grosser Bedeutung, in welcher feierlich die Notwendigkeit verkündet wurde, den Kolonialismus in allen Erscheinungsformen schnell und bedingungslos zu beenden. 79) Knieper 1991. S. 44. 80) Vgl. A/RES 3281 (XXIX). Chapter 1. 81) Vgl. etwa A/RES 1515 (XV), 3201 (S-VI), 3202 (S-VI). 82) Pällinger 2005, S. 23. 83) Die nichtstaatlichen internationalen Organisationen verfügen über keine eigenständige Völkerrechtssubjektivität. Hingegen können sie sich unter bestimmten Bedingungen bei der UNO regi- strieren lassen und im Rahmen des Art. 71 UNC bei der Arbeit des Wirtschafts- und Sozialrats mitwirken. 84) Kimminich 1990. S. 185. 85) Supranationale Organisationen entstehen wie andere Staaten- verbindungen auch durch multilaterale völkerrechtliche Verträge (Gründungsvertrag), in denen die Mitgliedstaaten einen Teil ihrer Souveränitätsrechte auf die Organisation übertragen und ihr die Möglichkeit einräumen, im Rahmen ihrer eigenen Organe, unabhän- gig von den Mitgliedstaaten, verbindliche Beschlüsse zu fassen (Kimminich 1990, S. 196). Allerdings bleibt anzumerken, dass diese Eigenschaften im Bereich des völkerrechtlichen Organisationsrechts nicht neuartig sind und dass sich deshalb die Supranationalität nur aus der Intensität und Kumulation dieser Eigenschaften ergeben kann (Jänicke 1962, S. 425). 86) Benz 2004, S. 17. 87) Walter 1998, S. 7 ff. 88) Müller-Wewel 2003, S. 72. 89) Kimminich 1990. S. 218. 90) Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (4. November 1950). In: Randelzhofer 2004, S. 175- 177. 91) Müller-Wewel 2003, S. 73. 92) Der Terminus «Regionalismus» wird in der völkerrechtlichen Literatur in diesem Sinne verwendet. 93) Kimminich 1990. S. 106. 65