Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

Kriegshandlungen möglichst einzudämmen.36 Die- ses Recht im Kriege (ius in hello), das seinen Nie- derschlag in den Genfer37 und in den Haager Kon- ventionen38 fand, stellte einen ersten Ansatz zur Humanisierung der Kriegführung dar. Daneben Hessen sich gegen Ende der klassischen Epoche auch Bestrebungen beobachten, die Gewaltanwen- dung zu beschränken und Instrumente zur friedli- chen Streitbeilegung, wie etwa den heute noch be- stehenden Haager Ständigen Schiedsgerichtshof zu schaffen suchten.39 Die klassische Souveränitätskonzeption lässt sich abschliessend wie folgt umreissen: Die Staaten als Träger der Souveränität waren die primären Akteure des Völkerrechts. Bindende Normen konn- ten nur mit ihrer Zustimmung geschaffen werden. Dabei sollte das Prinzip der Nichteinmischung die Respektierung sowohl der inneren als auch äusse- ren Souveränität sicherstellen. Da das anarchische internationale System weder für die Sicherstellung der rechtlichen Ansprüche noch die friedliche Lö- sung von Konflikten Gewähr bot, waren die Staaten gezwungen, ihre Ansprüche selbst durchzusetzen. Aus diesem Grunde umfasste die Souveränität auch das Recht zum Krieg. Dennoch darf nicht gefolgert werden, dass in der klassischen Epoche eine abso- lute Souveränitätskonzeption vorherrschte. Die Pra- xis ist stets von der Existenz einer verbindlichen Rechtsordnung ausgegangen. Die Auffassung der Staaten, durch das Völkerrecht eingeschränkt zu sein, kam insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass selbst während des 19. Jahrhunderts die Re- geln der Reziprozität, von Treu und Glauben sowie der Staatenverantwortlichkeit anerkannt waren.40 DIE MODERNE SOUVERÄNITÄTS- KONZEPTION Das klassische Völkerrecht hatte ein wertneutrales Gefüge geschaffen für den Verkehr von souveränen Staaten in Krieg und Frieden auf der Grundlage der gegenseitigen Achtung der territorialen Unver- sehrtheit und Unabhängigkeit.41 Zunächst hatte die Westfälische Ordnung die Form einer «nichtorgani-sierten 
Gemeinschaft».42 Die 1815 geschaffene Hei- lige Allianz stellte einen ersten Versuch zu einer stärkeren Organisation des Systems dar. Dabei sorgte eine Pentarchie von Grossmächten (Gross- britannien, Frankreich, Österreich, Preussen und Russland) für die Erhaltung des Machtgleichge- wichts in Europa (das sogenannte europäische Kon- zert). Grundprinzip des europäischen Konzerts war, dass jeder Machtzuwachs einer Grossmacht durch einen entsprechenden Machtzuwachs der anderen Grossmächte auszugleichen war. Dieses System konn- te nur funktionieren, solange ausserhalb Europas Kompensationsräume vorhanden waren und alle Grossmächte ein Interesse an seiner Bewahrung hatten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren mit dem preussischen Streben nach Vorherrschaft und dem Abschluss des Rennens um die letzten weissen Flecken auf dem Globus alle Voraussetzun- gen für die Aufrechterhaltung des europäischen Konzerts weggefallen. Im Ersten Weltkrieg fand schliesslich die klassische Epoche des Völkerrechts ihren Abschluss.43 Aufgrund der Erfahrungen des Ersten Welt- kriegs begann sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass Krieg unter den Bedingungen der Industrie- kultur eine existentielle Gefahr für die ganze Menschheit darstellt. Die ungeheuren Verwüstun- gen, die ein mit modernen Mitteln geführter Krieg mit sich bringt, stellen die Funktionalität und Ra- tionalität des Krieges an sich in Frage. Aufgrund dieser Tatsache sahen sich das Völkerrecht und die Theorien der Internationalen Beziehungen mit der Notwendigkeit konfrontiert, neue Formen des zwi- schenstaatlichen Verkehrs und des Konfliktmana- gements zu finden. Der Übergang vom klassischen zum modernen Völkerrecht vollzog sich in mehre- ren Etappen. Dabei trat an die Stelle der blossen Koordination des zwischenstaatlichen Verkehrs eine Kooperation zwischen den Staaten, und das ius ad bellum wurde durch ein umfassendes Ge- waltverbot abgelöst. 58
	        

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