Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

aber auch deutlich, dass keineswegs an eine Rezep- tion österreichischen Rechts gedacht war, zumal dies mit der Rheinbundzugehörigkeit Liechten- steins nicht vereinbar gewesen wäre.20 Landvogt Schuppler wurde vielmehr angewiesen, sich über die geltenden Landesrechte sowie die im Fürsten- tum herrschenden Gewohnheiten und Gebräuche zu informieren und sodann der Hofkanzlei «den Umständen angemessene» eigene Gesetzesvor- schläge zu erstatten. Gleichsam als Zugeständnis an die kurze Frist, die ihm für die Erfüllung dieser Agenden eingeräumt wurde - die Gesetze sollten schon zum 1. Januar 1809 vorliegen -, und die feh- lende Erfahrung mit derartigen Aufgaben, sollten ihm die entsprechenden österreichischen Rechts- vorschriften als Vorlage dienen. Schuppler hielt sich daran und legte nahezu zeitgerecht eine Erbfolge- und Verlassenschaftsabhandlungsordnung21 sowie eine Konkursordnung und eine Grundbuchsord- nung vor, die weitestgehend mit den österreichi- schen Vorbildern übereinstimmten. Während diese Gesetze zum 1. Januar 1809 in Kraft gesetzt wur- den, galt dies nicht für den «Entwurf zu einem bür- gerlichen Gesetzbuche», den Schuppler im April 1809 vorlegte.22 Der Fürst entschied sich stattdes- sen dafür, das Inkrafttreten des österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) ab- zuwarten, was seiner Absicht entsprach, im gesam- ten liechtensteinischen Herrschaftsgebiet Einheit- lichkeit und Gleichförmigkeit herzustellen. Die mit Fürstlicher Verordnung vom 18. Februar 1812 an- geordnete Einführung österreichischer Gesetze - neben dem ABGB von 1811" die Allgemeine Ge- richtsordnung von 1781 sowie das Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen von 1803 - stand zwar nach wie vor im Widerspruch mit der Rheinbundzugehörigkeit Liechtensteins, das Problem war aber nicht mehr so virulent, da zu die- ser Zeit das Interesse Napoleons an der Gestaltung der inneren Verhältnisse der Rheinbundstaaten, einschliesslich deren Rechtsordnung, bereits deut- lich abgenommen hatte und das Fürstentum kurze Zeit später aus dem Rheinbund austrat. Die Landständische Verfassung vom 9. Novem- ber 1818,24 mit deren Erlass das zu den Gründungs-mitgliedern 
des Deutschen Bundes zählende Für- stentum Liechtenstein eine Verpflichtung erfüllte, die ihm die Bundesakte auferlegte, wies sogleich in Paragraph 1 auf das enge Naheverhältnis zu Öster- reich hin, das durch die weitestgehend übereinstim- mende Rechtsordnung im Bereich der «bürgerli- chen und peinlichen Gesetze und Gerichtsordnung» geschaffen worden war. Dieses legte es nahe, einer weiteren Verpflichtung, nämlich der Errichtung ei- nes dreistufigen Instanzenzuges, durch die Heran- ziehung eines österreichischen Gerichts als Revisi- onsinstanz für das souveräne Fürstentum nachzu- kommen. Ab 1818 gestaltete sich der Instanzenzug in Zivil- und Strafsachen daher folgendermassen: Als erste Instanz fungierte das Landgericht in Va- duz, die zweite Instanz war am liechtensteinischen Hof in Wien eingerichtet und die dritte Instanz bil- dete das Appellationsgericht in Innsbruck. Damit hatte sich das Fürstentum - so Paragraph 1 der liechtensteinischen Verfassung - «an die diesfällige österreichische Gesetzgebung auch für die Zukunft angeschlossen».25 Dem entsprach die automatische Übernahme österreichischer Rechtsvorschriften, wie sie zwischen 1819 und 1842 praktiziert wurde, als sämtliche in Österreich ergangenen Erläuterun- gen und Nachtragsverordnungen zu den rezipierten Gesetzen ohne weiteren Rechtsakt auch in Liechten- stein in Geltung traten.26 Ab 1843 trat an die Stelle dieser sogenannten «automatischen» Rezeption die «autonome» Rezeption, im Rahmen derer eigen- ständige liechtensteinische Gesetze erlassen wur- den, allerdings in enger, überwiegend wortwörtli- cher Anlehnung an das österreichische Vorbild, wie z. B. die Zivilprozessordnung und die Jurisdiktions- norm aus 1912.27 Eine zusätzliche Vertiefung des nachbarschaftli- chen Naheverhältnisses erfolgte durch die zwischen 1852 und 1919 bestehende Zoll- und Wirtschaftsge- meinschaft mit Österreich,28 die auch Auswirkun- gen auf die Rechtsordnung hatte, da mit ihr eine au- tomatische Rezeption der einschlägigen österreichi- schen Rechtsvorschriften verbunden war. Das Für- stentum konnte zwar durch den Abschluss des Zollvertrags eine wirtschaftliche Isolation, wie sie mit der Auflösung des Deutschen Bundes zu erwar- 38
	        

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