Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

Reichskrieg gegen die Osmanen als Ersatz für un- aufbringbare Kriegssteuern, aber auch eine lange Liste weiterer Verfehlungen, etwa der Bruch der Lokalverfassung bei der Bestellung der dem Gericht Vorsitzenden Landammänner. Schliesslich entschied der Reichshofrat am 22. Juni 1684 auf Nichtigkeit aller 122 Strafprozesse. Die konfiszierten Güter waren den Überlebenden oder den Erben der Hin- gerichteten herauszugeben, die Vaduzer Gerichts- personen und die herrschaftlichen Beamten als Totschläger zu inhaftieren. Und vor allem: 68 Men- schen starben nicht auf dem Scheiterhaufen. We- gen der übrigen Klagepunkte bestätigte der Reichs- hofrat am 11. Februar 1686 eine bereits 1684 ge- fallene Entscheidung der kaiserlichen Kommission, wonach die zwangsweise in den Türkenkrieg ver- schickten Vaduzer zurückgeführt werden sollten.46 Bereits 1683 hatte der kaiserliche Kommissar Rupert von Kempten den Reichsgrafen Ferdinand Karl Franz von Hohenems-Vaduz aufgrund eines kaiserlichen Haftbefehls auf das nahe kaiserliche Schloss Neuburg verbringen lassen. Die Untersu- chungskommission war damit zu einer Exekutions- kommission erweitert worden. Auffällig ist, dass die nach der Reichsexekutionsordnung eigentlich zuständigen ausschreibenden Fürsten des Schwä- bischen Reichskreises, der Fürstbischof von Kon- stanz und der Herzog von Württemberg, übergan- gen wurden, doch entsprach das der vom Reichs- hofrat vertretenen Rechtsauffassung, der römische Kaiser sei frei, wen er mit einer Reichsexekution beauftrage.47 Gegenüber dem Grafen entschied der Reichs- hofrat nun am 22. Juni 1684 auf Entziehung der Ge- richtsbarkeit und damit der Herrschaftsgewa.lt.48 Er wurde zudem «von römisch-kaiserlicher Macht» vorgeladen, binnen zwei Monaten vor dem Reichs- hofrat zu erscheinen und sich dort seinem eigenen «endlichen Rechtstag» zu stehen.49 Dazu kam es aber nicht mehr. Am 24. Mai 1686 meldete Rupert von Kempten den Tod des 36-jährigen Grafen in der Gefangenschaft nach Wien. Die Umstände seines jungen Ablebens sind alles andere als klar.50 Die Reichsexekution gegen Ferdinand Karl Franz von Hohenems-Vaduz war im Unterschied 
zu den Reichsexekutionen der ersten Phase der «Handhabung Friedens und Rechtens» (1495- 1618) ohne spektakuläre Kampfhandlungen fast schon im Stil einer gewöhnlichen Verhaftung abge- laufen. Der Graf hatte sich mitnichten auf seiner Burg Vaduz verschanzt. Wer hier anderes erwartet, überschätzt, welchen faktischen Handlungsspiel- raum ein Reichsgraf in den 1680er Jahren noch hatte. Seine grundsätzlich milizverpflichteten Zu- gehörigen hätten sich genau so wenig zu Verteidi- gungszwecken wider die Reichsjustiz aufbieten las- sen, zumal sie hier die Kläger waren, wie auch eine bewaffnete Unterstützung von benachbarten Herr- schaften nicht mehr zu gewinnen war. Dass ein regierender Graf oder Fürst persönlich in Haft genommen wurde, war kein Einzelfall. Graf Johann von Rietberg (1557) und Herzog Johann Friedrich von Sachsen-Gotha (1567) lassen sich ebenso aufführen wie die Reichsgrafen von Leini- gen-Güntersblum, Rheingrafenstein und Wolfegg- Waldsee, die der Reichshofrat unter Kaiser Jo- seph IL (1765-1790) in Tyrannenprozessen inhaf- tieren liess.51 Mancher Andere entging der Reichs- justiz nur durch Flucht ins französische oder polni- sche Exil, so etwa Herzog Karl Leopold von Meck- lenburg-Schwerin (1728). Dennoch bleibt die Frage bestehen, warum aus- gerechnet Nichtigkeitsurteile zu lokalen Strafpro- zessen die Ultima Ratio des Reichsstaatsrechts nach sich zogen. Gegen Graf Ferdinand Karl Franz von Hohenems-Vaduz sprach neben den massiven Verstössen wider die vom Reich garantierten Ju- stiz«grundrechte» vor allem der Umstand, dass er die Hexenprozesse als willkommene Gelegenheit benutzt hatte, um sich durch in der Carolina so nicht vorgesehene Vermögenskonfiskationen bei den Hinterbliebenen in den Besitz von Mitteln zu versetzen, die dem Abbau der auf der Grafschaft lastenden Schulden, nicht zuletzt noch ausstehen- der Reichssteuern, dienen sollten, was sich infolge des Wiener Nichtigkeitsurteils gleich einem organi- sierten Raubzug darbot. Zudem hatte die Vaduzer Gerichtsgemeinde den römischen Kaiserhof wegen einer Reihe weiterer Verfassungs- und Rechts- brüche des Grafen um Schirm angerufen, und auch 24
	        

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