Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (2006) (105)

bildung einer Sammelkultur und eines heimischen Kunstmarktes gelegt. 1954 wurde das Landesmuse- um gegründet, 1968 die Liechtensteinische Staatli- che Kunstsammlung (seit 2000 Kunstmuseum Liechtenstein) eröffnet. Im LIinblick auf die beiden letztgenannten Samm- lungen überprüfte Tisa, ob durch Schenkungen oder die Integration bereits früher zusammengetragener Bestände Flucht- oder Raubgut in diese Sammlun- gen gelangt ist. Das äusserst bescheidene Budget des Historischen Vereins, der damals die meisten Sammlungen des stark lokal ausgerichteten Landes- museums stellte, liess kaum Ankäufe zu; es konnte daher allein aus finanziellen Gründen nicht auf dem internationalen Kunstmarkt agieren. Den unmittelbaren Anstoss zur Gründung der Staatlichen Kunstsammlung gab eine Schenkung des 1932 eingebürgerten Grafen Maurice Arnold von Bendern an das Fürstentum im Jahr 1967. Laut Tisa gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sich un- ter den zehn wertvollen alten Ölgemälden Flucht- oder Raubgut befindet. Das Postmuseum wurde 1930 begründet, nach- dem der Deutsche Hermann E. Sieger, Inhaber einer renommierten Briefmarkenfirma, dem Fürstentum seine Sammlung liechtensteinischer Marken ge- schenkt hatte. Sieger wurde zum Kurator auf Le- benszeit bestellt. Für Liechtenstein, das ab 1912 die ersten eigenen Briefmarken herausgegeben hatte, zählten die Einnahmen aus dem Markenverkauf bald zu den tragenden Säulen des Staatshaushalts. Sieger hatte seit 1928 die fürstliche Regierung in al- len postalischen Fragen beraten und ein völlig neu- es System des Briefmarkenhandels und eine lukrati- ve Ausgabepolitik eingeführt, wobei er vor allem auf den Handel mit ungebrauchten, postfrischen Mar- ken setzte. Im Gegensatz zum Kunsthandel blühte der Briefhandel in Liechtenstein bereits in der Zeit vor 1945. Sieger, der zugleich als Vertrauensmann der fürstlichen Regierung in Deutschlandfragen fun- gierte, besass ab 1936 einen liechtensteinischen Di- plomatenpass. Im NS-Staat wurde er, seit 1932 NSDAP-Mitglied, Leiter der Reichsorganisation des deutschen Briefmarkenhandels sowie Experte bei 
Schätzungen und Verwertungen. Kurz vor Kriegs- ende floh Sieger aus Deutschland nach Liechten- stein, wurde aber bald nach Vorarlberg abgescho- ben und dort von der französischen Besatzungs- macht verhaftet. Die liechtensteinische Regierung unterstützte ihn jedoch in Anerkennung seiner Ver- dienste um das Land in seinem Entnazifizierungs- verfahren. Sieger erklärte nach dem Krieg, sein Ein- tritt in die NSDAP sei aus widerstandsstrategischen Gründen und auf Veranlassung des Liechtensteini- schen Regierungschefs erfolgt - wobei er die «Ret- tung» Liechtensteins vor dem «Dritten Reich» mass- geblich sich selbst zuschrieb. Da das Postmuseum in der Regel nur Neuheiten gesammelt hat, sind laut Tisa Eingänge aus «Arisie- rungen» und Beschlagnahmungen mit grosser Si- cherheit auszuschliessen. Gleichzeitig betont sie aber, dass «Siegers Funktion innerhalb der deut- schen Devisenbeschaffung als Berater bei der Schät- zung und Verwertung von beschlagnahmten Samm- lungen ... als sehr belastend einzustufen» ist. Offen bleibe auch die Frage, warum die fürstliche Regie- rung die Briefmarkenpolitik und das Postmuseum weiter in den Händen Siegers belassen hat, als des- sen Nahverhältnis zum Nationalsozialismus bereits offenkundig war. Obwohl Tisa bei allen drei öffentlichen Sammlun- gen keine systematische Abklärung der Provenien- zen vornehmen konnte, stellt sie zusammenfassend fest, dass «die durchgeführten Recherchen in der Regel den Raubgutvorwürfen den Boden» entzie- hen. In Einzelfällen hält sie zusätzliche Abklärun- gen zum restlosen Nachweis der Herkunft für not- wendig, diese müssten durch die jeweilige Instituti- on selbst in Angriff genommen werden. Für die Einbindung des Fürstentums in den in- ternationalen Kunstmarkt seit Kriegsende spielte der Zuzug einiger schillernder Persönlichkeiten, die zuvor dem NS-Regime nahegestanden waren, eine wichtige Rolle. Einer von ihnen, Adolf Ratjen, war 1937 Teilha- ber des deutschen Bankhauses Delbrück, Schickler & Co. in Berlin geworden und verfügte über beste Beziehungen zum Reichsfinanzministerium. Ratjen gehörte von 1940 bis Kriegsende dem Amt Ausland 260
	        

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