REZENSIONEN / INDUSTRIEBETRIEBE UND DIE PRODUKTION FÜR DEN DEUTSCHEN KRIEGSBEDARF Regierung mit ihrer Politik nicht gegen die Neutra- lität Verstössen habe. Eine andere Frage ist, ob Liechtenstein indirekt an den Neutralitätsverletzun- gen, die der Schweiz zur Last gelegt werden, Anteil hatte. Nach Auffassung von Marxer/Ruch hatte Liechtenstein in dieser Haltung eine Zwitterstellung inne. Im Kapitel 8 ziehen Marxer und Ruch eine Schluss- bilanz. Die wesentlichen Aussagen sind, dass alle drei untersuchten Betriebe für den deutschen Kriegsbedarf produzierten, während an die West- mächte keine Lieferungen erfolgten. Regierung und Landtag Liechtensteins nahmen keinen Anstoss daran. Die Rechtfertigung sahen sie in der volks- wirtschaftlichen Bedeutung dieser Betriebe. Poli- tisch hingegen konnte diese Haltung durchaus als Signal für die Unterstützung der Nationalsozialisten gewertet werden. Nach Meinung von Marxer und Ruch prägte der wirtschaftliche Kurs der Gesamtre- gierung «letztlich das Bild Liechtensteins». Insge- samt erschien das Vorgehen der Regierung «einem von materiellen Interessen geprägten Pragmatis- mus verpflichtet». Abschliessend halten die Autorin und der Autor fest, dass «Liechtenstein von den da- maligen Betriebsgründungen sowohl kurz- wie langfristig profitierte und letztlich als Gewinner aus dem Krieg hervorging». Die im Anhang angefügten Dokumente enthalten für den interessierten Leser zusätzliche wertvolle Informationen: 1. Firmen und Personen mit Bezie- hungen zur liechtensteinischen Industrie auf der britischen schwarzen Liste; 2. Kurzbiographien wichtiger Akteure; 3. Ausgewählte Quellen. Einem Abkürzungs- und Tabellenverzeichnis folgt ein um- fangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis. Ein Namenregister schliesst die Darstellung ab. Die Studie von Marxer und Ruch gibt auf die ein- leitend gestellten Fragen umfassend Antwort, so- weit es die Quellenlage zulässt. Die Untersuchung ist nach wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt. Das heisst, sie zeigt die notwendige Transparenz bei der Darstellung der Ergebnisse und - was in diesem Fall besonders wichtig ist - die nötige Unabhängig- keit in der Darstellung eines Themas, das gerade für den Kleinstaat Liechtenstein besonders heikel ist.
Letzteres dürfte mit ein Grund dafür sein, warum die Bearbeitung und damit Aufarbeitung dieser schwierigen Phase in Liechtenstein nur zögerlich und verzögert erfolgt ist. Die Studie - in einer klaren und sachlichen Sprache abgefasst - erfüllt die An- forderungen einer nüchtern-wissenschaftlichen Ana- lyse. Sie nennen «Ross und Reiter», wo es für das Verständnis der Zusammenhänge und Umstände notwendig ist, ohne der Versuchung der Sensations- enthüllung zu erliegen. Die Problembereiche wer- den in einer differenzierten Art untersucht. Die Zeit- umstände werden ebenso einbezogen wie die ver- schiedenen Akteure innerhalb und ausserhalb der Betriebe. So wird auch auf die wirtschaftsfreundli- che Haltung der Regierung verwiesen. Vielleicht wäre es noch informativ gewesen, die Haltung der Bevölkerung zu dieser Frage zu kennen. Marxer und Ruch scheuen vor Beurteilungen von Haltungen nicht zurück, meiden es jedoch, Urteile zu fällen oder Verurteilungen auszusprechen. Die Autorin und der Autor haben - wie auch das ganze Unter- nehmen der UHK - eine schwierige und wichtige Aufgabe mit grossem Engagement, nüchternem Sach- verstand und wissenschaftlichem Können bewäl- tigt. Insgesamt ist diese Publikation, wie auch die anderen Untersuchungen der UHK, all jenen, die sich über die Rolle Liechtensteins im Zweiten Welt- krieg informieren wollen, als Lektüre zu empfehlen. 253