Das Haus Liechtenstein hatte seit 1608 auch den Reichsfürstenrang inne, doch stand ihm bislang keine mit Württemberg vergleichbare Teilhabe an der hohen Reichspolitik offen. Zur Reichstagsfähig- keit fehlten reichsunmittelbare Herrschaften. Die kaiserliche Reichspolitik, eine erbländische Dynas- tie über den Erwerb reichsunmittelbarer Herr- schaften in den Reichsfürstenrat zu lotsen, war kein Einzelfall: Das selbe hatte Kaiser Leopold I. 1686 im Falle der Dietrichsteiner aus der südmähri- schen Herrschaft Nikolsburg mittels der Herrschaft Tarasp im Engadin getan.20 Weitere Beispiele wa- ren die Auersperg aus Krain über Thengen, die Schwarzenberg über den Klettgau, die Lobkowitzer über Sternstein, die Ligne über Fagnolles oder die Kaunitz über Rietberg. «1719» war also mitnichten eine Vorstufe zu «1806» und zur Souveränität,21 sondern stand zu seiner eigenen Zeit in einem ge- genteiligen Kontext des Ausbaus der kaiserlichen Stellung in Schwaben. Für Vaduz-Schellenberg lag der Preis im Verlust der Residenzfunktion: Es wur- de ganz zum abgelegenen Nebenland des von Feldsberg aus regierten Fürstentums. DAS REICH ALS STEUERSTAAT Seit dem frühen 16. Jahrhundert war das Heilige Römische Reich zum Steuerstaat verdichtet, der die Fähigkeit besass, Mittel seiner Glieder, auch der Grafschaft Vaduz, zur Wahrnehmung von Reichs- aufgaben zu zentralisieren. Das Reichsrecht gab künftig Steuerziele vor, überliess aber die Umset- zung dezentral den Reichsständen. Grundlage der Steuerverfassung waren die Reichsmatrikel von 1507 und 1521, in denen die Steuerproportionen der Reichsglieder zueinander festlegt wurden, sodass der Reichstag künftig nur noch über den Vervielfa- chungsfaktor zu entscheiden hatte. Für Vaduz ent- sprach der einfache jährliche Satz, das Simplum, dem Gegenwert von einem Reiter und sechs Fuss- soldaten.22 Den grössten Anteil nahmen Kriegs- steuern ein. Das Zeitalter der militärischen Dauer- konflikte zwischen dem westchristlichen Heiligen Römischen Reich und dem islamischen Osmani-schen
Reich bedeutete für die Reichssteuern ein ra- santes Wachstum. Zwischen 1519 und 1555 wurde eine Steuerlast von 73,5 Grundbeträgen beschlos- sen, woraus zwischen 1556 und 1609 die immense Summe von 409 Steuergrundbeträgen wurde.23 Gegen ordnungsgemäss vom Reichstag beschlos- sene Reichssteuern gab es zwar kein Vetorecht der einzelnen Reichsstände, genauso wenig von deren Landständen oder Gemeinden24, wohl aber justiziel- le Möglichkeiten, die Subsistenzbasis vor den ober- sten Reichsgerichten zu behaupten. Diese galt als unantastbar, da das agrarische Produktionsvolu- men von nicht variablen lokalen Umweltbedingun- gen limitiert wurde. Den Gemeinden war die Mög- lichkeit eingeräumt, sich wider ihren das Steuer- begehren geltend machenden Herrn an den Reichs- hofrat zu wenden, sodass eine entsandte kaiserliche Kommission einen nach den örtlichen Gegeben- heiten tragfähigen Steuerkompromiss aushandeln konnte.25 Ein steuerverfassungsrechtliches Problem der Grafschaft Vaduz war darin angelegt, dass der dy- namischen Regelung der Reichsmatrikel eine starre interne Norm gegenüberstand. Herrschaftsvertrag- lich waren Graf Kaspar und die beiden Gerichtsge- meinden 1614 dahin übereingekommen, dass die Reichssteuern nicht über einen fixen Betrag von 1276 Gulden, den «Schnitz», umgelegt werden durf- ten (Vaduz 860, Schellenberg 416 Gulden).26 Für die eventuellen Differenzbeträge hatte der dem Reich gegenüber steuerverantwortliche Graf externe Dar- lehen aufzunehmen, wofür die Gerichtsgemeinden dann die Bürgschaften übernahmen.27 Mit der zu- nehmend aufgehenden Schere war der Weg in den lokalen Staatsbankrott vorgezeichnet. DER IMPERIALE GESETZGEBUNGSSTAAT Mit den 1495 anlaufenden Verdichtungsprozessen nahm die Gesetzgebung auf Reichsebene einen spürbaren Aufschwung.28 Nicht nur wurde das herrschaftsvertragliche Verfassungsrecht umfas- send verschriftlicht, sondern es erging auch eine Reihe sachgebietsbezogener Gesetze: Im Straf- und 18